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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
120.2001
Seite: 320
(PDF, 59 MB)
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Juden der Wegzug in die Städte offen stand, die Modalitäten der Einwanderung in die USA,
ein offenes Ohr für Maiers ganz persönlichen Weg in der neuen Heimat, den Zusammenhalt
der jüdischen Familien oder die Differenzen innerhalb derselben, hier sichtbar an den Vorbehalten
gegen die nicht-jüdische Frau eines Cousins.

Er hat ein ehrliches und warmherziges Buch geschrieben und gezeigt, dass dies alles noch
mit uns hier und heute zu tun hat. Gleich im ersten Kapitel, wo er ein Klassentreffen 1987 mit
seinen Jahrgängern aus der Volksschule beschreibt, wird das deutlich. Er fühlte sich in Malsch
immer noch ganz heimisch, dafür sorgte schon der vertraute Dialekt. Eine Malscher Neubürgerin
aus Norddeutschland war ihm zwar sympathisch, angesichts ihrer Sprache überkam ihn
aber das Gefühl, „dass sie der Eindringling war und nicht so zugehörig" wie er.

Der Diplomingenieur David Maier, Jahrgang 1921, der im Januar 2001 in Freiburg zum Gedenktag
der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz über das Schicksal seiner Familie
gesprochen hat, ist nicht nur Louis Maiers Namensvetter, seine Vorfahren stammen ebenfalls
aus Malsch. „Erinnerungen eines deutsch-jüdischen Engländers" wählte er als Titel für seinen
Text, der zeitgleich als Publikation des Freiburger Stadtarchivs erschienen ist. Im Mittelpunkt
von Maiers Ausführungen steht sein Vater Löb David Maier, dem der Aufstieg zum Akademiker
gelungen ist. Er besuchte das Gymnasium in Rastatt und studierte in Heidelberg, Freiburg
und München Naturwissenschaften. Noch vor dem Ersten Weltkrieg trat er eine Stelle im
höheren Schuldienst an, bei Kriegsausbruch meldete er sich zum Militär. 1919 heiratete er die
Tochter eines jüdischen Kaufmanns in Ludwigshafen und zog mit ihr nach Freiburg, wo er
eine begehrte Stelle an der Rotteck-Oberrealschule erhalten hatte.

Das gut bürgerliche Leben, das dem einzigen Sohn Aufwachsen in Harmonie gewährleistete
, das Wirken als angesehener Fachmann erfuhr 1936 einen Bruch, als Löb Maier aus dem
Beamtendienst ausscheiden musste. Er widmete seine Arbeitskraft danach ganz der jüdischen
Gemeinde als Vorsteher des Freiburger Synagogenrats, als Mitglied der Landessynode und des
Oberrats der Israeliten in Baden. Eine unheilbare Wunde seelischer Natur wurde ihm am 10.
November 1938 zugefügt, als er gezwungen wurde, dem Brand der Freiburger Synagoge zuzusehen
, eine infernalische Szene, Ergebnis unfasslicher Niedertracht.

Löb Maiers einziger Sohn war damals schon in England. Es gelang dem 18-jährigen 1939,
die Eltern nachzuholen, nachdem der Vater aus dem Konzentrationslager Dachau freigekommen
war. Dass auch in diesem Fall der Sohn sich entschlossen hat, das Schweigen zu brechen,
ist ein Glücksumstand. Sein Stil ist sachlich, aber nicht minder eindringlich als der des Louis
Maier. Wie dieser spricht er auch die eigene Biographie an: Er war in der britischen Automobilindustrie
tätig, erst im technischen Bereich in der Entwicklung, dann in leitender Stellung
für Marketingfragen. Osteuropa war sein Spezialgebiet, wo er in den 50er- und 60er-Jahren
Messen besuchte. 1955 hatte er Grotewohl, Ulbricht und den russischen Außenminister Mi-
kojan an seinem Stand in Leipzig.

Letztere Szene ist in der Schrift des Freiburger Stadtarchivs im Bild belegt. Auch zu Löb
Maiers Biographie konnten informative Fotos gefunden werden. Eines zeigt den Naturwissenschaftler
an einem Theodoliten, ein weiteres das Lehrerkollegium der Rotteck-Oberrealschule
mit Direktor Ludin in der Mitte. Ludin war der Vater des SA-Führers Südwest und
hatte den Sozialdemokraten Kunzenmüller im Amt abgelöst. Der Herausgeber fügte auch
zeitgenössische Dokumente an, im Anhang einen „Bericht des Vorstands der Gefängnisse in
Freiburg vom 26. November 1938 an den Generalstaatsanwalt in Karlsruhe über die Inhaftierung
von 137 jüdischen Bürgern und ihre Deportation nach Dachau nach dem Brandanschlag
auf die Freiburger Synagoge". Die gelungene Publikation ist ein Baustein für eine
Gesamtgeschichte der jüdischen Bürgerinnen und Bürger Freiburgs in der NS-Zeit, die bei
der erwähnten Veranstaltung zum 27. Januar in Aussicht gestellt wurde.

Renate Liessem-Breinlinger

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