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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 222
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merziell-händlerisehen Interessen, genutzt.82 Das zeigt auch das Beispiel der Müller-Söhne:
alle drei entschieden sich für das Bankgeschäft. Erst die nächste Generation sollte sich für
gänzlich andere Berufsfelder interessieren und entscheiden.

Adolf Müller, der, wie seine Brüder wohl auch, die der Aufklärung verpflichtete, überkonfessionelle
Jacobsonschule in Seesen83 besucht hatte - die er später finanziell unterstützte -,
wurde 1883 Mitinhaber der vier Jahre zuvor von Jacob Ballin gegründeten Bank in Holzminden
, die er 1901 allein übernahm. Nach Eintritt der „Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt
" 1911 - ein Beispiel von vielen für das Vordringen der Großbanken in den Geschäftsbereich
der Privatbanken - führte Adolf Müller das Geschäft als Direktor weiter bis zu seiner Pensionierung
1921. Er heiratete, nachdem er sich etabliert hatte, 1885 die zehn Jahre jüngere
Bertha Katz aus dem weit entfernten Züschen im Sauerland. Das Ehepaar hatte zwei Kinder.
Die Tochter Käthe konnte später nach Palästina emigrieren. Der Sohn Alexander, promovierter
Jurist, der im Weltkrieg als Oberleutnant im 2. Bayrischen Armeekorps kämpfte, starb 1942
mit seiner Frau im Ghetto Lodz. Vielfältige Beziehungen verbanden Adolf Müller, der, geschäftlich
zunächst erfolgreich, in der Inflation den größten Teil seines Vermögens verlor, mit
der christlichen bürgerlichen Welt in Holzminden, mit ihren Vereinen und gesellschaftlichen
Gruppierungen. Über die Zeit, die 1933 für uns arme geplagte Nichtarier angebrochen war,
machte er sich keine Illusionen: Man hört nichts Gutes, schrieb er, und ich speziell glaube an
keine baldige Besserung. Die Jugend wandert aus und wir Alten, die [wir] nur die Erinnerung
an bessere Zeiten in uns tragen, müssen uns daran genügen lassen und gottergeben das Ende
in unserem schönen, ach, so ungemütlich gewordenen Vaterland abwarten. Bis zum Ende begleitete
ihn - Adolf Müller starb 1940 - die christliche Hausgehilfin der Familie, Emilie Schütt,
zuletzt seine Pflegerin; sie gehörte auch zu den wenigen, die ihn zu Grabe trugen.84

Hermann Müller ging nach Göttingen, wo auch ihm ein rascher beruflicher Aufstieg beschieden
war; er wurde Mitinhaber des „Bankgeschäftes Siegfried Benfey" in der Prinzenstraße
9.85 Er heiratete Meta Gräfenberg aus einer begüterten Göttinger Kaufmannsfamilie.
Hermann Müller starb bereits 1910. Seine Frau Meta erlebte noch kurz die ,Machtübernahme'
der Nationalsozialisten. Von den drei Töchtern emigrierte die jüngste, Grete Müller, bereits
1933 mit ihrem Mann, dem Kaufhausdirektor Rudolf Eichenberg, und den zwei Kindern nach
Palästina. Die Tochter Ilse, früh Witwe geworden, wurde 1942 mit ihren beiden Töchtern aus
Frankfurt nach Estland deportiert. Die älteste Tochter Rosel starb 1939, nachdem es ihr noch

82 Werner E. Mosse: Die Juden in Wirtschaft und Gesellschaft. In: Juden im Wilhelminischen Deutschland 1890-
1914. Hg. von Werner E. Mosse und Arnold Paucker. Tübingen 1976, S. 57-113, hier S. 73.

83 Die Jacobsonschule war eine 1801 von dem jüdischen Theologen und Unternehmer Israel Jacobson als „Religi-
ons- und Industrieschule eingerichtete interreligiöse Schule für jüdische und christliche Kinder, die 1805 als erste
überkonfessionelle Simultanschule in Deutschland anerkannt wurde" (Wikipedia). Vgl. Meike Berg: Jüdische
Schulen in Niedersachsen - Tradition - Emanzipation - Assimilation; die Jacobsonschule in Seesen (1801-
1922), die Samsonschule in Wolfenbüttel (1807-1928). Köln 2003.

84 Adolf Müller, geb. am 19.12.1853 in Adelebsen, gest. am 24.1.1940 in Holzminden, verheiratet mit Bertha Katz,
geb. am 14.2.1864 in Züschen, gest. am 5.4.1928 in Holzminden. - Käthe Müller, geb. am 21.7.1886 in Holzminden
, gest. am 20.7.1949 in Kiriat Stand/Palästina, verheiratet mit Walter Porta, geb. am 9.8.1880 in Bielefeld,
gest. am 17.10.1958 in Nahariya. - Alexander Müller, geb. am 30.4.1888 in Holzminden, gest. am 18.3.1942 im
Ghetto Lodz, verheiratet mit Margarete Scheftel, geb. am 1.10.1898 in Worms, verschollen in Lodz. Stammtafel
Gottschalk Müller; Familienarchiv Eilon. Gedenkbuch - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945. Bearb. und hg. vom Bundesarchiv. 2. wesentl. erw.
Aufl. Koblenz 2006, S. 2468 und 2474 (Ehepaar Alexander Müller). - Vgl. die eingehende und in vielfacher Hinsicht
exemplarische Biographie Adolf Müllers und seiner Familie von Klaus Kieckbusch: Von Juden und Christen
in Holzminden 1557-1945. Holzminden 1998, S. 320ff. („Adolf Müller: Holzmindener, Deutscher, Jude -
Beispiel einer Assimilation") u.ö. - Zu Emilie Schütt vgl. ebd., S. 467f.

85 Mitteilung des Stadtarchivs Göttingen vom 20.8.2007.

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