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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 236
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2007/0236
den in Hannover an der Vereinsstraße/Ellernstraße gelegenen Einrichtungen, Krankenhaus und
Altersheim, die 1901 vom „Israelitischen Verein für Altersversorgung und Krankenpflege" gegründet
worden waren.141 In Berlin hatte sie noch eine vierwöchige Zusatzausbildung absolviert
,142 im Hinblick auf die ihr neue Aufgabe der Altenpflege - der übrigens immer mehr Bedeutung
zukam angesichts der zunehmenden Überalterung der jüdischen Bevölkerung, verursacht
durch die Massenflucht vor allem jüngerer Menschen. Dadurch erhöhte sich aber auch
ständig der Bedarf an Heimplätzen und zugleich die Anforderung an die bestehenden Altersheime
, für zusätzliche Plätze zur Unterbringung der zurückbleibenden alten Leute zu sorgen;
in der Regel gelang das nur durch die Umwandlung von Einzel- in Mehrbettzimmer.143 So
schwierig es schon war, diese und andere Probleme, denen sich Elisabeth Müller seit Mitte
1939 zu stellen hatte, zur Zufriedenheit der ihr anvertrauten Menschen zu lösen - es sollte noch
schwieriger werden.

Im Rahmen der reichs weiten Maßnahmen zur Ghettoisierung der jüdischen Bürger, die nach
dem Erlass des „Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden" vom 30. April 1939 zwangsweise
in bestimmten, ihnen zugewiesenen Häusern zusammengefasst werden konnten, wurde auch in
Hannover die Wohnkonzentration verschärft vorangetrieben.144 Dies gelang mit dem Mittel der
Einzelkündigung und Zwangseinweisung nur bedingt. Gauleitung und Stadtverwaltung beschlossen
daher 1941 eine radikale Lösung, die Umsiedlung von über tausend jüdischen Bürgern
in 16 von der Verwaltung ausgesuchten Häusern. Im Laufe des 3. September erhielten alle
Juden die Aufforderung, ihren Wohnraum sofort zu räumen und bis zum Folgetag 18 Uhr, nur
mit den notwendigsten Gegenständen und Möbeln versehen, da es sich um eine enge Belegung
handelt, in das zugewiesene Judenhaus umzuziehen. Elisabeth Müllers Eltern wurden in das
Altersheim in der Ellernstraße eingewiesen; sie hatten nach der Auswanderung von Marga und
Paul Goldschmidt in deren Wohnung Eichendorfstraße 2 gelebt, ein Haus, in dem nur noch jüdische
Familien wohnten.145

Mit Siegfried und Angelika Müller wurden über 80 weitere Personen dem Anwesen Ellernstraße
16 zugewiesen; innerhalb von gut 24 Stunden stieg die Zahl der auf dem Grundstück untergebrachten
Menschen von ungefähr 90 auf über 170. In der Räumungsverfügung, die ihnen
vorher zugestellt worden war, war Elisabeth Müller, Oberin des Altersheims, als Verantwortliche
für die Zuweisung der ihnen dort zugedachten Räumlichkeiten genannt. Sie meisterte die
Aufgabe der Unterbringung innerhalb kurzer Zeit. So wurden die Kellerräume von Heim und

141 Schulze (wie Anm. 127), S. 19.

142 Erklärung Marga Goldschmidts; wie Anm. 49. - Elisabeth Müllers Cousin Dr. jur. Alexander Müller, dem die
Tätigkeit als Versicherungskaufmann untersagt worden war, suchte einen ähnlichen Ausweg, um sich seinen Lebensunterhalt
zu verdienen: Er ließ sich in Frankfurt am jüdischen Krankenhaus in der Krankenpflege ausbilden
. Nach seiner Deportation nach Lodz arbeitete er dann bis zu seinem Tod als Krankenpfleger in einem der
dortigen Krankenhäuser. Kieckbusch (wie Anm. 84), S. 515 und 518.

143 Schon für das Berichtsjahr 1937 stellte die Zentralwohlfahrtsstelle fest, dass trotz aller Maßnahmen - Neueinrichtung
von Heimen, Umwandlung von Einzelzimmern in Doppelzimmer bei bestehenden Heimen - das ständig
wachsende Bedürfiiis der Unterbringung von alten Leuten in Altersheimen auch jetzt noch nicht befriedigt
werden konnte. Arbeitsbericht (wie Anm. 18) (1937). Vgl. die detaillierten Angaben bei Adler-Rudel (wie
Anm. 19), S. 168ff.

144 Das Folgende beruht, soweit nicht anders vermerkt, auf der Untersuchung von Marlis Buchholz: Die hannoverschen
Judenhäuser. Zur Situation der Juden in der Zeit der Ghettoisierung und Verfolgung 1941 bis 1945
(Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 101). Hildesheim 1987. Vgl. auch Schulze (wie
Anm. 127), S. 41 f. Zum „Israelitischen Krankenhaus als Judenhaus'" vgl. ferner Benzenhöfer (wie Anm. 78),
S. 36f. - Allgemein vgl. Heiko Pollmeier: Judenhäuser. In: Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Hg. von
Wolfgang Benz u.a. München 42001, S. 534f., sowie Avraham Barkai: Im mauerlosen Ghetto. In: Deutsch-
Jüdische Geschichte in der Neuzeit. Bd. 4 (wie Anm. 103), S. 319-342, hier S. 328ff. („Die Judenhäuser'").

145 Das Haus Eichendorfstraße 2 gehörte Paul Goldschmidt, der es vor seiner Emigration an den jüdischen Privatier
Sammy Scheiberg verkaufte. Nach dessen Ausweisung aus dem Haus erscheint als Eigentümer ein Hannoveraner
Architekt. Adressbücher der Stadt Hannover. - Sammy Scheiberg wurde am 23.7.1942 nach Theresien-
stadt deportiert; er starb dort am 31.10. desselben Jahres. Gedenkbuch (wie Anm. 84), S. 3022.

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