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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 243
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nen nicht einmal ein, als die NS-Führung, die sich immer noch der Illusion hingab, die AntiHitler
-Koalition sprengen zu können und deshalb um ihr Renommee besorgt war, beschloss,
Theresienstadt der internationalen Öffentlichkeit als Musterghetto und als Beweis dafür zu präsentieren
, dass die angebliche Ausrottung der europäischen Juden nur das Produkt jüdischer
Greuelpropaganda' sei. Jene Bereiche und Einrichtungen der Stadt, die dann einer internationalen
Delegation Ende Juni 1944 vorgeführt wurden - Elisabeth Müllers Siechenheim zählte
nicht dazu -, wurden einer ausgeklügelten Verschönerung1 unterzogen, und dies mit Erfolg.
Die Delegation ließ sich blenden und gab positive Verlautbarungen zu Protokoll.168

Nachdem Mitte September auch die Dreharbeiten zu dem geplanten Propagandafilm über
das „Jüdische Siedlungsgebiet Theresienstadt" abgeschlossen waren, konnte wieder zur ,Normalität
' übergegangen werden. Ab Ende September verließen innerhalb von vier Wochen 11
Transporte (Ek-Ev) mit insgesamt 18402 Häftlingen Theresienstadt, immer mit dem Ziel
Auschwitz.169 Der fünfte Transport (Eo) am 6. Oktober erfasste überwiegend Kranke und
Sieche, so alle Insassen der Geniekaserne,110 also auch die Schützlinge Elisabeth Müllers.
Therese Magnus musste diese Tragödie nicht mehr miterleben; sie war bereits Ende April im
Alter von 77 Jahren verstorben.171

Offenbar konnten bei diesem Transport noch Personen, die für die übrigen Altersheime des
Ghettos unentbehrlich waren, ausgenommen werden; Elisabeth Müller fehlte auf der Transportliste
der Lagerverwaltung. Es war jedoch, wie bei vielen anderen Schwestern des Pflegebereichs
, nur ein kurzer Aufschub.172 Keine zwei Wochen später erhielt Elisabeth Müller die
Einberufung: Sie hatte sich am 19. Oktober in der Schleuse Lange Straße 3 einzufinden, also
in der nur wenige Schritte von ihrem Wohn- und Arbeitsort entfernten Hamburger Kaserne, der
Sammelstelle für den Abtransport, an deren Rückfront die leeren Waggons bereits warteten.173
Der neunte Transport (Es) umfasste 1500 Häftlinge; Elisabeth Müller trug die Nummer 1297.
Von den Deportierten dieses Transports überlebten Auschwitz nur 53 Personen, Elisabeth Müller
war nicht unter ihnen. Ihr Name aber, der nicht soll getilgt werden, ist bewahrt in Yad Vas-
hem, in der Halle der Opfer des Holocaust.174

168 Noch im Mai 1944 gingen mehrere Transporte nach Osten, um die Überbelegung in Theresienstadt zu reduzieren
. Zu den politischen Hintergründen und ausgeklügelten Täuschungsmanövern vgl. Kärny (wie Anm. 155),
S. 28ff.; Adler (wie Anm. 154), S. 165ff. - Selbst emigrierte Juden hofften zugunsten der Verfolgten, dass die
Zustände in Theresienstadt günstiger als in anderen Lagern seien. So schrieb die nach New York emigrierte Frei-
burgerin Olga Mayer, deren Mutter im August 1942 nach Theresienstadt verschleppt worden war und die in
Auschwitz starb, am 9. September 1943 Verwandten: Da Ihr selber den Aufbau [die Zeitung der nach den USA
emigrierten deutschen Juden] leset, werdet Ihr auch den Artikel über Theresienstadt gelesen haben, in welchem
berichtet wird, dass Th. so eine Art Musterghetto darstellen soll. Ich will's einmal glauben. Familiennachlass
Mayer-Paepcke, Karlsruhe. Das zynische Täuschungsmanöver der Nazis wirkt bis heute fort; vgl. Wolfgang
Benz: Erzwungene Illusionen. Überlegungen zur Wahrnehmung und Rezeption des Ghettos Theresienstadt. In.
Theresienstädter Studien und Dokumente 2002, S. 45-56.

169 Miroslav Karny: Die Theresienstädter Herbsttransporte 1944. In: Theresienstädter Studien und Dokumente
1995, S. 7-36.

170 Weglein (wie Anm. 158), S. 68.

171 Gedenkbuch (wie Anm. 84). S. 2214. Theresienstädter Gedenkbuch (wie Anm. 150), S. 471. Schulze (wie Anm.
150), S. 31. Vgl. Anm. 139.

172 Zu den Herbsttransporten 1944 bemerkt die Krankenschwester Resi Weglein: Selbsti'erständlich versuchte das
Gesundheitswesen alles [bei der Lagerleitung], um die bewährten Kräfte zu halten. Wohl wurden viele Schwestern
von dem einen Transport befreit, kamen aber unweigerlich in den nächsten hinein. Wie Anm. 170. Anders
als zuvor, als die jüdische Selbstverwaltung wenigstens teilweise die Aufstellung der Listen beeinflussen und
immer wieder unentbehrliches Personal freistellen konnte, griff bei den Herbsttransporten von 1944 die SS direkt
in die Auswahl der Transportopfer ein. Adler (wie Anm. 151), S. 218f.

173 Vgl. den Transportbefehl für den letzten Transport vom 28.10.1944 bei Adler (wie Anm. 151), S. 102f.

174 Ihnen will ich in meinem Haus, in meinen Mauern Denkmal und Namen geben, der nicht soll getilgt werden (Je-

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