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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 274
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2007/0274
Phase einer „schleichenden Arisierung", d.h. einer „Entjudung" der Wirtschaft „von unten" im Zeitraum
von 1933 bis 1937 die systematische, durch staatliche Gesetzgebung gelenkte Ausplünderung von 1937
bis November 1938 folgte und in Folge des Pogroms vom 9. November 1938 dann schließlich ein weiterer
Radikalisierungschub einsetzte. Die wirtschaftliche Enteignung der Juden war in Freiburg umfassend,
schon in den ersten Jahren sehr durchdringend und vergleichsweise früh weitgehend abgeschlossen. Stadtverwaltung
und Bürgerschaft agierten bei der „Arisierung" schnell und konsequent. Besondere Ziele antisemitischer
und diskriminierender Aktionen, angefangen vom Boykott des 1. Aprils 1933. boten dabei
nicht nur die großen jüdischen Kaufhäuser Freiburgs wie „Wohlwert" und „Knopf, sondern auch die zahlreichen
mittelständischen Betriebe und Geschäfte. Der seitens der Nationalsozialisten und ihrer Helfershelfer
aufgebaute Verkaufsdruck wurde für die jüdischen Geschäftsleute Jahr für Jahr immer massiver.
1933 hatte es in Freiburg noch 236 jüdische Firmen und Unternehmen verschiedenster Ausrichtung gegeben
, 1939 existierte davon im Zuge der „Entjudung" kein einziges mehr. Brucher-Lembach kann durch
ihre Arbeit die Ergebnisse anderer Studien bestärken, die bei der Ausplünderung der Juden sogar einen
vorauseilenden Gehorsam der „Volksgenossen" festgestellt haben. In vielen Fällen bedurfte es keineswegs
einer staatlichen Lenkung, um die „Arisierung" in Gang zu setzen. Dafür sorgten manche Freiburger Bürger
oder Geschäftsleute in vielen Fällen selbst. Sie nutzten die von den Nazis präsentierte Gelegenheit,
um alte Rechnungen zu begleichen, sich wirtschaftlicher Konkurrenten zu entledigen oder skrupellos an
der Notlage der jüdischen Mitbürger zu verdienen. Die Freiburger Stadtverwaltung mit Oberbürgermeister
Kerber an der Spitze zeigte hier ebenfalls keine Zurückhaltung und betätigte sich, wie das Beispiel der
Übernahme der Sägewerks Veit in der Liebigstraße zeigt (1936), eifrig an der Verdrängung der jüdischen
Unternehmer. Brucher-Lembach konnte herausfinden, „dass die Stadtverwaltung in ihrer antisemitischen
Politik den Maßnahmen der Reichsebene vorauseilte, also frühzeitigere und radikalere Ausgrenzung betrieb
, als sie vom Staat gesetzlich vorgegeben wurde" (S. 39). Nach der sogenannten „Reichskristallnacht"
kam es dann zu einer weiteren, fast hemmungslosen Radikalisierung in der wirtschaftlichen Ausplünderung
der Juden. Diesem ausführlichsten Abschnitt des Buches folgen zwei kürzere Kapitel. Zum einen
werden die schwierigen Umstände der Auswanderungsbemühungen der Juden behandelt (S. 99-112), dann
wird die relativ plötzliche Deportation der meisten Freiburger Jüdinnen und Juden im Rahmen der konzertierten
„Aktion Bürckel" am 22. Oktober 1940 besprochen (S. 113-118). Hier rezipiert die Autorin leider
neuere lokalgeschichtliche Beiträge von Ulrich P. Ecker und Hans Schadek nicht. Der folgende Abschnitt
über die „Verwertung" des jüdischen Eigentums nach der Oktober-Deportation (S. 119-152) kann
als besonders wichtiger Kern der vorliegenden Arbeit betrachtet werden, kommt in diesem Abschnitt doch
die Beteiligung der gesamten Bevölkerung, nicht nur der Geschäftswelt, zur Sprache. Wie die Autorin eruieren
konnte, fanden seit Oktober 1940 in Freiburg, organisiert vom Finanzamt, über mehrere Monate fast
täglich Versteigerungen jüdischer Besitztümer statt, auf denen es zur „Schnäppchenjagd der Volksgenossen
" (Dreßen) kam. Diese Aktionen waren öffentlich und erbrachten für die Staatskasse Einnahmen von
einer Viertelmillion Reichsmark. Die Schilderung des enormen Andrangs von Interessenten bei diesen
Versteigerungen - das Haus der deportieren Geschwister Liefmann musste beispielsweise wegen Überfüllung
geschlossen werden - ist gleichermaßen eindrücklich wie der Niederschlag des akribischen Beamtenhandelns
in aussagekräftigen, aber lange unbeachteten Quellen.

Der zweite große Teil der Studie beschäftigt sich mit den historischen Entwicklungslinien und teilweise
äußerst komplizierten Abläufen der sogenannten „Wiedergutmachung", worunter erstens die „Rückerstattung
" von geraubten Eigentumswerten und zweitens die „Entschädigung" für erlittenes Unrecht zu
zählen sind (S. 153-225). Die Autorin schildert die Anfänge der Betreuung der NS-Opfer unmittelbar nach
Kriegsende, den Ausbau der Betreuungsstellen sowie die Errichtung der „Badischen Landesstelle" für die
Betreuung der NS-Opfer im Februar 1946. Im Jahr 1949 wurde das „Badische Landesamt für kontrolliertes
Vermögen" gegründet, das in 21 Städten Südbadens Zweigstellen unterhielt. Geradezu skandalös
wirkt der Befund, dass in mehreren dieser Behörden dieselben Beamten arbeiteten, die nur wenige Jahre
zuvor direkt an der Ausplünderung der Juden beteiligt gewesen waren (S. 164f.). Reichlich kompliziert
stellt sich die Entwicklung der umstrittenen „Rückerstattung" und der damit verbundenen Gesetzgebung
dar. Brucher-Lembach versucht hier, einen Weg durch das historische Dickicht vorzugeben, was ihr textlich
allerdings nicht ganz befriedigend gelingt. 4.000 Fälle kann sie für ganz Südbaden angeben, bei denen
es um die Restitution von Grundstücken, Häusern, Gegenständen und Firmenbesitz ging. Die Autorin
kommt zu dem Schluss, dass viele der früheren „Ariseure" nur auf Druck der Gerichte Vergleichsverhandlungen
zuließen und sich einige nachträglich sogar als Retter jüdischer Unternehmen stilisierten.

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