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Bodenseepoesie vom Ende des 18. Jahrhunderts X47
Nach dieser allgemeinen Landschaftsbetrachtung wendet der
Sänger sich im besondern zur Reichsstadt Lindau, von welcher
er folgendes „Gemälde" entwirft:
Sey mir gegrüßt deutsche Venetia! —
Zwar jene mächtige Riesin däucht sich zu groß,
Und zürnt dieser Namensverschwisterung;
Oder — lächelt ihr Hohn
Laßt ihr den Ruhm ihrer Größe!
Sie hebt ihr Haupt aus trüber Laguna,
Du deins — aus aetherreiner See empor,
Die die Sonne mit des Kristalls Schimmer,
Oder mit des Regenbogens Farben schmückt.
Sey mir gegrüßt deutsche Venetia,
Sueviens Zierde!
Welcher Fremdling erblickt dich,
Dein Gewäßer und deine Gefilde umher,
Der nicht mit starrem Auge staunt?
Dann in des Staunens Strudel stürzt,
Und sich verliert —
Bis der Entzückung süßer Schauer, ,:;
Sein Nervengewebe durchbebt,
Und Reiz, und Anmuth und Wunder , 'V
Seiner Empfindung den Ausruf entlockt:
Wie herrlich ist Mutter Natur!! —
Du bist auf dem Grunde gebaut
Den ein Tiberius wählte zum Schutzort3,
Als der Vindelizier Nacken
Sich gegen der Römer Joch sträubte.
Deine graue Felsenburg,
Von jenen erthürmt,
Ist Zeugin dieser Geschichte.
Gleich stolz und ruhig ragst du empor,
Aus stiller oder stürmender See.
Du trotzest dem Wogengetümmel —
Stehst wie ein Meerfels.
So trotztest du weiland Suecias Kohorten,
Den Buhlern deiner Jungferschaft.
Zween Monde lang lächeltest du Hohn,
3 Dies ist nicht ganz ausgemacht!
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