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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1966/0271
Vereinsmitteilungen

hat, welche kulturellen Potenzen allein der Nationalsozialismus in die Fremde gezwungen,
ausgerottet, vernichtet hat, erhellte der Vortragende, wobei die von ihm erwähnten Persönlichkeiten
aus dem engeren württembergisch-hohenzollerischen Bereich besonders interessant
waren: Albert Einstein, in Ulm geboren, aus Bad Buchau stammend; der Mitgründer
des Marbacher Schiller-Nationalmuseums, Dr. Kilian von Steiner, und der in Hollywood
großgewordene Carl Lämmle („Im Westen nichts Neues") aus Laupheim.

Eingehend beschäftigte sich Dr. Sauer mit dem Deutschbewußtsein der überwiegenden
Mehrzahl der Juden und der zunächst unbedeutenden, später aber verhängnisvollen Rolle
der Zionisten, die mit ihrer These, der Jude sei nur Gast in fremdem Wirtsvolk, dem Antisemitismus
Auftrieb gegeben hätten und deshalb von einer Mitschuld am späteren Geschehen
nicht freizusprechen seien. Er erläuterte die Landflucht der Juden, von denen 1830 noch
93 Prozent in Dörfern gelebt hätten, während es 1933 nur noch wenig über 20 Prozent gewesen
seien. Mit der Verstädterung sei eine Entfremdung vom mosaischen Glauben häufig
einhergegangen. Gerade für die nicht mehr oder allenfalls noch äußerlich orthodox-gläubigen
Juden, die sich völlig ihrer Umwelt angepaßt hatten, sei der gedanklich und schließlich
auch faktische Haßausbruch ihrer Mitwelt ein besonders harter Schicksalsschlag gewesen,
zumal alle - auch die Zionisten - ihren staatsbürgerlichen Verpflichtungen stets korrekt
nachgekommen waren und die Juden im ersten Weltkrieg für Deutschland einen hohen
Blutzoll entrichtet hatten.

Mit Zahlen und Beispielen erhärtete Dr. Sauer, was er über den bitteren Schicksalsweg
der Juden in Württemberg und Hohenzollern von 1933 - es waren rund 10 000 - bis 1945,
als kaum mehr 500 übrig waren, berichtete. Er erwähnte die vielen anfangs noch lebenskräftigen
jüdischen Gemeinden, beschäftigte sich detailliert mit den verhältnismäßig großen
Gemeinden in Haigerloch (Anfang der 30er Jahre noch über 200 Juden, 1935 noch zehn
aktiv tätige Vereine) und Hechingen.

Wie die Juden immer mehr suspekt gemacht wurden, deutete der Vortragende anhand
damals gängiger Parolen. Er schilderte und belegte, wie „Nichtarier" aus Beamtenstellen
und Berufen hinausgedrängt, schließlich -geworfen wurden. Einander gegenübergestellte
NS-Zeitungsausschnitte einerseits und erschütternde Zeugnisse jüdischer Uberlebender andrerseits
machten die „Nürnberger Gesetze" und ihre Folgen, die „Reichskristallnacht", die
Ghetto-Atmosphäre ohne Ghetto präsent. Dr. Sauer betonte, wie einige human-christlich
gesinnte Mitbürger den Juden den ihnen verbliebenen schmalen Lebensraum trotz Judenstern
und Boykotthetze einigermaßen erträglich gemacht haben. Seine Dokumentation bewies
, daß selbst Parteigenossen oder deren Angehörige wider den Stachel lockten, und daß
die Ausschreitungen der „Reichskristallnacht" keineswegs so spontan erfolgt waren, wie es
die NS-Presse hingestellt hatte. So seien in Haigerloch, Hechingen und Oberndorf die jüdischen
Gemeindezentren fast ausschließlich von auswärtiger SA, die man herbeizitiert hatte,
nicht von Einheimischen vernichtet worden.

Über Auswanderungsberichte - Anfang 1939 verließen monatlich rund 200 Juden
Württemberg und Hohenzollern - und Schilderung der Drangsal der Daheimgebliebenen
erreichte der Archivrat das düsterste Kapitel jener düsteren Ära: die 1941 von Heydrich
durchgesetzte „Endlösung" mit Deportation und Vernichtung. Die besondere Infamie des
Verfahrens belegte er mit Zeugnissen. Insgesamt hätten von 2500 in zwölf Transporten
zwischen 1941 bis 1945 aus Württemberg und Hohenzollern Zwangsverschleppten nur 180
den Krieg überlebt und seien zurückgekehrt; 260 Juden hätten schon vor der „Abreise"
Selbstmord begangen, und nur rund 200, die in Mischehen gelebt hatten, sei die Verschleppung
erspart geblieben.

„Die Anklage der Toten - über 150 000 allein von den rund 500 000 Juden, die 1933 in
Deutschland gelebt hatten, - ist furchtbar", rief Dr. Sauer der Versammlung zu. Die meisten
Deutschen haben nach seiner Meinung keine oder nur undeutliche Vorstellungen von dem
gehabt, was im Osten mit den Juden geschah, hätten sich später - mit der Wirklichkeit
konfrontiert - voll Abscheu distanziert.

In der NS-Zeit hätten allerdings nur wenige dem Regime getrotzt und sich - oft unter

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