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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1970/0114
Hugo Lacher

Die Einwände liefen unter dem gängigen Schlagwort von der „Verpreußung"
Deutschlands".

Der innenpolitischen Motivation der Ablehnung einer Nationaleinigung nach
norddeutschem Muster entsprachen die außenpolitischen Bedenken. Mit am eindrucksvollsten
hat sie der Historiker Georg Gottfried Gervinus in einer noch während
des Krieges geschriebenen Schrift dargelegt15. Gervinus war ein Vertreter des
südwestdeutschen Liberalismus, der nach 1866 die Wendung der Mehrheit seiner
Gesinnungsgenossen zu Bismarck, zu Macht- und Realpolitik mit einer endgültigen
Hinwendung zur Demokratie beantwortete. Der Grundriß des deutschen Staatsbaus
, meinte er nun, sei von jeher förderalistisch und nicht einheitlich gewesen. So
sei noch der Deutsche Bund ausdrücklich mit der Bestimmung geschaffen worden,
in der Mitte Europas „einen neutralen, durch seine föderative Ordnung den Frieden
verbürgenden Staatenbund" zu bilden. Nun drohe aus Deutschland ein „allzeit
angriffsfähiger Kriegsstaat" zu werden, in dem man eine stete Bedrohung des Friedens
erblicken könne, ohne deshalb ein Feind Preußens zu sein. Des weiteren drohten
die Deutschen einem verhängnisvollen Machtdenken zu verfallen: „Es wäre eine
leidige Verkehrung, wenn Deutschland die Fähigkeit eines Kulturvolks für die eines
Machtvolks dahingehen" und seine Bestimmung in der „Bepflügung der Schlachtfelder
" suchen wollte. Ein solche „Politik des Selbstverderbens" könne leicht dazu
führen, daß Deutschland zum Anlaß eines neuen Hegemonialkrieges wird, in dem
es dem „machtfrohen Deutschland" dann ergehen müßte wie jeder Macht, die zuvor
nach der Suprematie in Europa griff. Mit seinen Darlegungen wollte Gervinus noch
einmal die Alternativen aufzeigen, die dem Land der europäischen Mitte nach außen
gegeben waren, die des Machtstaates, der militärischen Stärke und des kriegerischen
Risikos, und auf der anderen Seite die der zivileren Förderation, die - wie das vornationale
Deutschland - als eine primär auf den europäischen Frieden hin strukturierte
Größe in das klassische System des europäischen Gleichgewichts eingebaut

14 Zur Illustration noch zwei Beispiele. In der zweiten badischen Kammer erklärte Reinhold Baumstark
, Abgeordneter der Katholischen Volkspartei, die Tendenz gehe nicht dahin, daß Preußen
in Deutschland aufgehe, als vielmehr, daß Preußen Deutschland erobere. Dann würde aus Deutschland
ein „großartiger Militär- und Kasernenstaat". S. Verhandlungen der Ständeversammlung des
Großherzogtums Baden. Protokolle der Zweiten Kammer 1869/70. S. 6. Vgl. auch Otto Gertz:
Der politische Katholizismus im Großherzogtum Baden und seine Stellung zur deutschen Einheit
1866/71. Diss. Hamburg 1941. S. 89 f. In Württemberg meinte Rudolf Probst, Preußen sei ein
Militärstaat und auch der Norddeutsche Bund drohe unter seiner Führung zu einem solchen zu
werden. Er aber wolle nicht die Größe des „Gewaltstaates", sondern den „Kulturstaat" mit einer
Verfassung, die ganz Europa zum Vorbild werden könne. S. Verhandlungen der württ. Kammer
der Abgeordneten. 1870/71. Protokolle Heft 1. S. 53 f.

15 Denkschrift zum Frieden. An das preußische Königshaus. In: Gervinus: Hinterlassene Schriften.
Wien 1872. Die Schrift, aus der die folgenden Zitate stammen, wurde namentlich von groß-
deutschen Katholiken, die darin noch einmal ihre Oberzeugungen bestätigt fanden, aufgegriffen
und in ihren wesentlichen Partien bekanntgemacht. So durch den pfälzischen Geistlichen Philipp
Hammer bzw. Philalethes Freimuth (Pseud.) in „Der deutsch-französische Krieg und die Katholiken
", Luxemburg 1871. S. 64 ff. Die Schrift des demokratisch und frankophil gesinnten Geistlichen
stellt eine kompromißlose Verurteilung der Entwicklung seit 1866 dar. Soweit sie über die
Grenzen kam, wurde sie von der preußischen Polizei beschlagnahmt. Dann durch die Historischpolitischen
Bläuer für das katholische Deutschland (München), im Folgenden zit. H.P.BL, in
einem Aufsatz „Das politische Testament des Historikers Gervinus", Bd. 69 (1872) S. 353—369,
und schließlich durch Johannes Janssen: „Gervinus über Deutschland und seine Zukunft". In:
Janssen: Zeh- und Lebensbilder. 2 Aufl., Freiburg i. Br. 1876. S. 507-521.

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