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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1970/0118
Hugo Lädier

strialisierung bereits auf dem Weg weniger zum Proletarier als zum freilich, noch
recht karg gestellten und daher wenig gesicherten Industriebürger27. Bayern erlebte
zudem eine Agrarkrise, die nach einer Aufstellung des „Bayerischen Vaterlands",
eines patriotisch-jakobinischen Blattes, zwischen 1864 und 1867 zu rund 10 000
„Vergantungen" führte2S. Die Notlage, die im westenlichen die kleineren und
mittleren Bauern traf, führte zur Gründung der Bauernvereine, die dann zum breiten
ländlichen Unterfutter der Patriotenpartei wurden. Dazu kam die Arbeiterschaft
, soweit sie - und auch das war in Süddeutschland mehrheitlich der Fall - der
kleinbürgerlichen Demokratie folgte29. Mit diesen Gruppen kollaborierten in einer
charakteristischen Verschränkung von einer an der Vergangenheit orientierten politischen
Zielsetzung und antibürgerlichem Affekt Konservative, die im Hinblick auf
eine deutsche Nationaleinigung als eigene soziale Schicht freilich nicht zu fassen
sind, wohl aber als Einzelpersönlichkeiten. Nicht selten sind Namen aus dem mittleren
Reichsadel, dem Stand der Reichsfreiherren und Ritterbürtigen.

In der Beurteilung Jörgs rückte diese Polarisierung der Kräfte das Ringen um
die endgültige Lösung der deutschen Frage in die Nähe eines „Klassenkampfes".
Während sich im industriell fortgeschrittenen Preußen bereits die Arbeiterklasse
gegen die Bourgeoisie formiere, setzten sich in Bayern noch die alten Schichten Adel,
Klerus und Bauern gegen dieselbe „herrschsüchtige Klasse" zur Wehr30. Die Beobachtung
war insofern richtig, als im Norden Bebel und vor allem Liebknecht eine
Nationaleinigung, die zur Herrschaft von Junkertum und Bourgeoisie führe, ablehnten
u, während in Bayern die Opposition überwiegend von der bäuerlichen Bevölkerung
unter Führung des Adels und einer Geistlichkeit, die im wesentlichen aus
eben dieser Schicht kam, getragen wurde. An Bayern zeigte sich zudem, wie die
soziale Differenzierung selbst das sozial an sich neutrale katholische Lager ergriff.
Als es im Februar 1870 den Patrioten gelang, Hohenlohe zu stürzen, beschwor

Zahlen für Baden etwa bei Franz Kistler: Die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in
Baden 1849-1870. Freiburg 1954.

Die Tabelle des Blattes, aufgegliedert nach den einzelnen Landesteilen, ist wiedergegeben bei
Niedermayer: Die katholische Bewegung. Jg. 1869. S. 436. Über die Ursachen der Krise s. Wolfgang
Zorn: Kleine Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns 1806—1933. München 1962. S. 41.
Dazu Wolfgang Schmierer: Von der Arbeiterbildung zur Arbeiterpolitik. Die Anfänge der Arbeiterbewegung
in Württemberg. Hannover 1970. Bes. S. 127 ff. Für Nürnberg-Fürth etwa, einem
Zentrum der Arbeiterbewegung in Bayern, Hugo Eckert: Liberal- oder Sozialdemokratie. Frühgeschichte
der Nürnberger Arbeiterbewegung. Stuttgart 1968. Bes. S. 118. Für die Rheinpfalz,
wo sich namentlich in Kaiserslautern ein sehr rühriger Arbeiterverein in engem Anschluß an die
Demokraten um Friedrich Georg Kolb bildete, s. Erich Schneider: Die Anfänge der sozialistischen
Arbeiterbewegung in der Rheinpfalz 1864—1899. Diss. Mainz 1956. S. 34 f.
H.P.B1. Bd. 64 (1869) S. 651 ff. S. 651 grob ausgedrückt: Es handle sich um den „Befreiungskampf
sozialer Klassen gegen die maßlose Herrschsucht einer anderen sozialen Klasse", der
„Bourgeoisie" und ihrer „Platzhalterin", der Bürokratie.

Zur Haltung der Sozialisten und speziell von Bebel und Liebknecht s. Werner Conze, Dieter Grob:
Die Arbeiterbewegung in der nationalen Bewegung. Die deutsche Sozialdemokratie vor, während
und nach der Reichsgründung. Stuttgart 1966. Die Antwort aus der DDR von H. Bartel: Die
Haltung der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung zur Reichsgründung. In: Zeitschrift für
Geschichtswissenschaft Bd. 16 (1968) S. 430-442. Dann G. Ebersold: Die Stellung Wilhelm
Liebknechts und August Bebels zur deutschen Frage 1863 bis 1870. Diss. Heidelberg 1963 und
K. H. Leidigkeit: Wilhelm Liebknecht und August Bebel in der deutschen Arbeiterbewegung
1862—1869. 2. Aufl., Berlin 1968. Gedrängt Steinberg: Sozialismus. In: Reichsgründung.
S. 319-344.

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