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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1970/0253
Besprechungen

zur Mitte hin zu öffnen suchte, zum Außenseiter machte, der dann auch vom Parteivorstand
sichtlich geschnitten wurde. Daß dem freilich nicht nur unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich
der Rolle und des Selbstverständnisses einer Arbeiterpartei zugrundelagen, sondern
auch Ursachen, die in der Struktur der verschiedenen Persönlichkeiten lagen, hat Levi
selber gesehen, wenn er meint, es stünden sich „unsozialistische Praktiker" und „unpraktische
Sozialisten" gegenüber, also die alten und immer wieder zu Reibungen führenden
Gegensätze von Theoretikern und Praktikern, von Idealisten und Realisten. Von der
Partei wurde der Abgeordnete aus dem „roten Sachsen" - Levi vertrat den Wahlkreis
Chemnitz-Zwickau - dann auch für lange Jahre auf das Gebiet beschränkt, das er hervorragend
beherrschte, auf Fragen der Justizreform, Fragen, die bei ihm naturgemäß immer
wieder aufliefen zu stets neu formulierten und mit Verve und Überzeugungskraft vorgetragenen
Anklagen gegen die „politische Justiz". Ihren Höhepunkt erreichte dieser Protest
mit dem weithin Aufsehen erregenden Jorns-Prozeß, praktisch einer von Levi erzwungenen
Wiederaufnahme des einst vor einem Feldkriegsgericht skandalös geführten Prozesses gegen
die Mörder Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs. Levi hatte insofern vollen Erfolg, als
er Jörns, den Untersuchungsrichter und Ankläger von einst, nun Reichsanwalt, bloßstellen
konnte und mit ihm das zweierlei Maß, mit dem die Justiz der Weimarer Zeit in politischen
Prozessen maß. Jörns freilich blieb im Amt, und im Dritten Reich kletterte er noch eine
Sprosse höher.

1930 ist Levi erkrankt. In einem Fieberanfall stürzte sich der erst 46jährige aus dem
Fenster. Unfall oder der Freitod eines Mannes, den die permanente Diffamierung von links
und rechts und wohl auch die Isolierung in der eigenen Partei zermürbt hatten, der sich
der Vergeblichkeit seiner Arbeit bewußt und zunehmend von der Sorge gequält wurde, daß
Deutschland dem Faschismus anheimfallen würde? Wie immer dem sei, sicher ist, daß auf
sein frühes Ende das Urteil Arthur Rosenbergs zutrifft, es sei ein „Teil des beispiellosen
Unglücks, von dem die Republik gerade in Personenfragen verfolgt wurde".

In ihrer Biographie hat Ch. Beradt mit gutem Einfühlungsvermögen in eine nicht einfache
Persönlichkeit und in flüssigem Stil das Leben Levis in seinen wichtigsten Stationen
nachgezeichnet. Was sie in erster Linie vorstellt, ist der Mensch Levi, eine hochgebildete
und wie so mancher deutsche Jude ganz in deutschen Bildungstraditionen stehende und denkende
Persönlichkeit, dazu vielseitig interessiert, an Militärwissenschaft, an Geschichte, an
Kunst und Literatur. Entsprechend weit war auch sein Bekanntenkreis. Darüber hinaus war
Levi selber Literat und vor allem ein brillanter Redner, sicher in Diktion und Gedankenführung
, oft aggressiv und doch selten verletzend, Ausdruck einer humanen, ja milden
Natur. Den zweiten Zug, den die Verfasserin verfolgt, ist der des radikalen Linken, des
Intellektuellen und des Individualisten, der, so klar sein Ziel einer humanen sozialistischen
Republik auch sein mochte, doch in keine Schablone passen will. Beides, seine Stellung
„zwischen Spartakus und Sozialdemokratie" wie auch seine persönliche Struktur, brachte
es mit sich, daß er immer wieder aneckte und im Grunde daher auch stets ein Einzelgänger
blieb, dessen Position und Bedeutung im Parteigefüge der Weimarer Republik zwar mit
„geistiger Anführer der Linken" zu umschreiben, inhaltlich aber doch nur schwer zu fassen
ist. So fällt auf, daß ein Mann von der intellektuellen Redlichkeit Levis, seiner persönlichen
Integrität und dem zäh festgehaltenen Ziel einer sozialistischen Republik in einem Staat
der Unzulänglichkeiten, des bürgerlichen Zuschnitts und der steten Gefährdung, daß er in
der Weimarer Republik bei aller Bereitschaft, sie gegen den Rechtsradikalismus zu verteidigen
, eben doch auch nur eine „Schattenrepublik" zu sehen vermochte: jene auch bei
der Linken „ungeliebte Republik", die so schwer tat, sich zu behaupten und schließlich
unterging. Die Frage erhebt sich, wie weit hat eine so gestimmte Opposition, die ja zeitweise
zu beachtlicher Stärke auflief, die SPD in ihrer Bewegungsfreiheit gehemmt, gehemmt
auch darin, jenen einst von Max Weber von ihr geforderten „Willen zur Macht" auszubilden
und sich so zum tragenden Pfeiler des Staates zu machen, auch wenn dies auf Kosten
der aus der Zeit der Verfolgung überkommenen „heroischen Brüderlichkeitsethik" gehe.
Das Beispiel Levi hätte, gerade weil es Vergangenheit und daher analysierbar ist, zudem

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