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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1976/0199
Alfons Bilharz

störte eine Schwäche seiner Darstellungsweise, die er für eine Stärke hielt und geradezu
kultivierte, nämlich der ständige Gebrauch von Bildern aus der Mathematik
und quasimathematischen Argumentationen, die niemand verstand und mitzudenken
bereit war. Sie bilden auch für den heutigen Leser schwere Hindernisse.
Um ihn zu verstehen muß man sie ausschalten und durch eigene Gedanken zur
Sache ersetzen. Das ist nicht leicht, aber meines Erachtens an vielen Stellen möglich
und erfolgreich. Das Mathematische daran ist wertlos, und man kann nicht
die Augen davor verschließen, daß seine Liebe zur Mathematik überhaupt eine
unglückliche war. So ließ er sich in späten Schriften und Manuskripten auf das
berühmte Fermatsche Problem ein, mußte sich dann aber auf einer Postkarte von
Reichenbach belehren lassen, daß es nicht darum geht, die Gleichung xn + yn = Zn
durch beliebige irrationale Zahlen zu erfüllen, sondern durch ganze Zahlen x, y, z.

Damit war alles, was er über dieses Problem geschrieben hatte, gegenstandslos.
Mathematik ist für den Philosophen sehr interessant, aber es ist der Philosophie
immer sehr schlecht bekommen, wenn ein Denker dieser extrem engen Fachwissenschaft
eine Führungsrolle zugestanden hat. Spinoza ist daran gescheitert, Günther
Jacoby, durch Taubheit in ähnlicher Einsamkeit wie Bilharz durch seine Blindheit
, hat durch einen Ausflug in die Relativitätstheorie seinem Lebenswerk unermeßlich
geschadet. Das tat auch Bilharz durch seine dilettantische Mathematik
seinem Werk an. Normale Leser schreckt so etwas mit Sicherheit ab.

Schließlich sei noch die Polemik erwähnt. Sie trennt mehr als sie verbindet
und kann, wo sie zu scharf wird, leicht ins Abseits führen. Bilharz polemisierte
kräftig und nach allen Seiten. Ich zitiere nur eine Stelle seiner Schrift zum Kantjubiläum
, einen beiläufigen Angriff auf alle die vielen Kantinterpreten seiner Zeit.
Im Zusammenhang einer Erörterung über den so problematischen Begriff „transzendental
" schreibt er (S. 34): „Es ist für den Philosophen nur nötig, daß er einer
sei; nicht aber, daß er über einen Gegenstand, dessen Verständnis ihm verschlossen
und dunkel ist, noch dunklere Bücher schreibe! Das helle Licht des Namens Kant
wirkt auf sie, wie ein Leuchtturmfeuer in dunkler Herbstnacht auf die Wandervögel
: In Scharen strömen sie herbei, zerschmettern sich das Gehirn an den harten
Scheiben und sammeln sich zu steigenden Haufen. Tausend und tausend von
Buchleichen bedecken die Plattform: der kleine Cohn, der feinschnäblige Kuno,
der große Hans (ach wie so klein!), der mit seinen Riesenflügeln alle Oberflächen
deckt, und wie sie alle heißen. Aber, o Glück! in der Verdunkelung des kantischen
Lichtes gelingt es wohl auch einem vorbei zu schlüpfen!"

Wieder ein kraftvolles Bild in schwungvollem Stil dargeboten! Wenn wir verstehen
, daß „der kleine Cohn" offensichtlich Hermann Cohen ist, der „feinschnäblige
Kuno" Kuno Fischer, dessen elfbändige, sehr flüssig geschriebene Philosophiegeschichte
gerade in dritter bis vierter Auflage erschien und ein großer Publikumserfolg
war, und der „große Hans (ach wie so klein!)", der mit seinen Riesenflügeln
das Kantische Licht verdunkelt, Hans Vaihinger, der Verfasser der „Philosophie
des Als Ob", dessen dicker Kantkommentar allgemein als schwieriger galt
als Kant selbst, Vaihinger, der übrigens eine kleine ganz besonders hochmütige,
oberflächliche und verletzende Besprechung über Bilharz „Erläuterungen zur Kritik
der reinen Vernunft" veröffentlicht hatte, dann wird uns klar, wie gründlich
hier das Tischtuch zerschnitten war. Aber wir können unseren Respekt vor der
Respektlosigkeit und ein gewisses Schmunzeln nicht ganz unterdrücken. Denn so
groß, wie sie sich und auch anderen damals erschienen sein müssen, waren diese

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