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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1976/0209
Besprechungen

hier wird auch die funktionale Rolle des Streites zwischen Staat und Kirche, Liberalismus
und Katholizismus sichtbar; denn indem ganze Gruppen der Bevölkerung einer antistaatlichen
, antinationalen Haltung wie auch der Bündelei mit dem Radikalismus bezichtigt
wurden, ließ sich die katholische Bewegung, in der schon von der sozialen Stellung der
katholischen Bevölkerung her viel demokratisches Potential steckte, isolieren. Zu den „unerträglichsten
Dingen", die dem Liberalismus wiederfahren könnten, gehöre die „Allianz
zwischen Rot und Schwarz", schrieb 1867 Sybel an Lamey. Die beiden auseinanderzudi-
vidieren, erschien somit als Notwendigkeit. Das zweite Mittel, der Herausforderung zu
begegnen, sollte dann „der restaurative Rückgriff auf die Macht und politisch-gesellschaftlichen
Integrationsinstrumente des bürokratischen Obrigkeits- und Verwaltungsstaates
" (S. 287) sein. Diesen Rückgriff nun über die einzelnen Phasen der kultur- und kirchenpolitischen
Auseinandersetzungen verdeutlicht, damit gleichzeitig einen wichtigen Beitrag
zur Ausbildung des spezifisch deutschen Konstitutionalismus geleistet zu haben, ist
Becker gelungen. Möglich war es nur, weil er den Disput zwischen Staat und Kirche in
engsten Zusammenhang mit der allgemeinen politischen, gesellschaftlichen und sozialen
Entwicklung brachte.

Die dritte Arbeit, eine Dissertation von Manfred Stadelhofer, setzt dort ein, wo Bek-
ker aufhört, auf dem Höhepunkt des Kulturkampfes, dem dann in einem Prozeß, der sich
über runde 40 Jahre hinziehen sollte, der Abbau folgte. Die Arbeit ist umfangreich, der
Gesichtskreis freilich enger. Soziale, gesellschafts- und weithin auch parteipolitische
Aspekte sind nur kursorisch einbezogen. Kaum auch ein Wort über Wahlagitationen oder
die Bewegung im Land oder etwa darüber, ob die badische katholische Volkspartei, seit
1888 das badische Zentrum außer mit Kirchenpolitik oder seiner bloßen Existenz die badische
Staatsregierung und den Liberalismus auch noch mit anderen Dingen herausforderte
. Stadelhofer hält sich somit streng an sein Thema, an ein zwar nuancenreiches, letztlich
aber doch ermüdend gleiches Hin und Her zwischen Staat und Kirche, Katholizismus und
Liberalismus unter dem Gesichtspunkt der Revision der Kulturkampfgesetze. Viel Farbe
war dieser Materie nicht abzugewinnen, und so hätte etwas weniger wohl auch gereicht.

Der Anlaß zum Umschwung ging, wie bereits von Becker gezeigt, vom Großherzog
aus. Bestimmend seine Sorge vor den „beklagenswerten Lehren der Internationale, dieser
Geißel aller Staaten und der modernen Gesellschaft", gegen die man sich „des Zügels der
Religion bedienen müsse" (Becker S. 349). Der Abbau lief dann freilich sehr mühsam an
und mühsam gings auch weiter bis 1918. Dies war - so Stadelhofer - in der Tat wesentlich
anders als in Preußen, von dessen Vorgehen man sich in Baden auch betont distanzierte
. Der Verfasser nennt als Grund, daß namentlich der Liberalismus in Baden sehr
viel grundsätzlicher eingestellt war als der preußische und sich daher mit einer Revisionspolitik
sehr viel schwerer tat. Sicher richtig. Stärker aber wäre doch wohl zu betonen gewesen
, daß sich der badische Liberalismus in dem mehrheitlich katholischen Land in seiner
Führungsposition, die er in Baden ja einnahm, auch wesentlich gefährdeter glaubte, daß es
ferner in Baden auch ein liberales Herrscherhaus und durchweg liberale Regierungen gab,
Kirche und katholische Bewegung somit einem liberalen Staat vom Scheitel bis zur Sohle
„vom See bis an des Maines Strand" (K. S. Bader in a. a. O. S. 51) gegenüberstanden. Das
schuf wesentlich härtere, sowohl soziale als auch ideologisch markierte Fronten. Auffallend
dabei immer wieder das überzogene Staats- und Souveränitätsdenken des Liberalismus
, was sich etwa darin zeigte, daß ein so überhöhter Staat Revisionen immer nur „gewähren
" konnte und sich diese strikt im Rahmen der 1860 etablierten Staatskirchenhoheit
zu halten hatten, bezeichnend aber auch, daß die Zentralen des Abbaus der „Staat" und
die „Kirche" blieben, resp. Staats- und Kirchenbehörden, während der nationalliberalen
Fraktion auf der einen Seite je nach Windrichtung oder Opportunität mehr die Rolle des
Hemmschuhs, der Stütze oder der Scharfmacherei zufiel und ebenso blieb die katholische
Volkspartei auf der anderen Seite zunächst fast vollständig im Hintergrund. Erst um 1890
zeichnete sich eine andere und auch interessantere Phase des Abbauhandels ab. Der Volkspartei
, bzw. dem badischen Zentrum, war es gelungen, zur stärksten Fraktion in der zwei-

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