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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1976/0212
Neues Schrifttum

Kirchenvolk verhalten müssen, damit Friede zwischen Staat und Kirche geblieben wäre?
Die Antwort hat wohl davon auszugehen, was der Liberalismus, die bürgerliche Gesellschaft
und der überkommene Staat von der Kirche wollten. Das aber geht deutlich genug
aus dem Disput mit der Kirche hervor: Verlangt war die der „modernen Wissenschaft"
gegenüber aufgeschlossene, d. i. die fortschrittliche, die „bürgerlich-räsonable" Kirche,
dann aber auch vor allem die staatsloyale und patriotisch gesinnte, die bereit war, sich in
das politische und soziale Gefüge des liberal-bürgerlichen Staates, zugleich des Nationalstaates
, einzufügen und ihn mitzutragen. In etwa hat der liberale Katholizismus, in Baden
speziell der „Wessenbergianismus" bis hin zu dem von ihm herausgestellten „religiösen Katholizismus
" anstelle des politischen, eine solche Programmatik vertreten. Anzumerken ist
nun freilich, daß die damit der Kirche zugedachte Rolle trotz der Formel vom nur religiösen
Katholizismus eine eminent politische gewesen wäre, nämlich zusätzlicher Garant
der gegebenen Ordnung zu sein und zugleich als Disziplinierungsmittel der Massen zu
fungieren. Ebenso offen liegt die Kehrseite zutage. Eine solche Funktion hätte auch die
katholische Kirche in eine ähnlich kritiklose Nähe zum bestehenden Staat gebracht und
ihr dann die Massen ebenso entfremdet wie dem Protestantismus. Undenkbar unter dem
Gesichtspunkt friedlicher Beziehungen von Staat und Kirche ist dagegen eine andere Möglichkeit
: das klare Bekenntnis der Kirche zur Demokratie und nicht nur zu ihren Mitteln.
Da es gerade die demokratischen und sozialen Einsprengsel im politischen Katholizismus
waren, die im Hintergrund der Konflikte standen, hätte ein solches Bekenntnis den Konflikt
erst recht provoziert und verschärft. So blieb der Kirche nur ein schmaler Spielraum
zwischen korrumpierender Anpassung und jener demokratisch-parlamentarischen Herausforderung
, wie sie vom „straßenbeherrschenden Zentrum" ausgingu. Dieser Spielraum
sollte dann umso leichter zu verfehlen sein, als die nun einmal gegebenen antiklerikalen
und speziell antikatholischen Affekte sich nur allzu leicht zur Erreichung anderer Ziele
anboten. Daran sollten, um den Zeitraum noch etwas auszudehnen, auch der Umsturz
von 1918/19 und die Neuregelung des Verhältnisses von Staat und Kirche in der Weimarer
Verfassung wenig ändern. Das alte Kulturkampfpotential blieb und war jederzeit zu
reaktivieren und in Politik umzusetzen, so etwa bei der Hindenburgwahl 1925 oder, um
bei Baden zu bleiben, im Jahre 1932, als es erneut um ein Konkordat und einen entsprechenden
Kirchenvertrag mit der evangelischen Kirche ging. Sie wurden links- und rechtsradikalen
Kräften zum willkommenen Anlaß, eine der letzten stabilen, von einer breiten
Mehrheit getragenen Länderregierungen um eben diese Mehrheit zu bringen12. Wenig später
sollte dann die Gleichschaltung des Landes folgen. Und so, möchte man meinen, schloß
sich der Kreis. 1860 dienten Antiklerikalismus und Kirchenpolitik dem Liberalismus dazu,
sich an die Macht zu bringen und im folgenden dann, sich auch an der Macht zu halten,
1932 sollten sie die Entmachtung des demokratischen Landes einleiten. Und das ist es
dann wohl, was heute an den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen interessant erscheint
, die Nebenabsichten, die im Rahmen der Gesamtentwicklung und eng damit verbunden
, verfolgt und auch erreicht wurden.

1 Dazu eine weitere Arbeit von Lothar Gall: Benjamin Constant. Seine politische Ideenwelt
und der deutsche Voimärz. Wiesbaden: Steiner 1963. Die Arbeit befaßt sich vorwiegend
mit dem Südwesten, speziell Baden.

* Siehe den Uberblick von Karl Siegfried Bader: Die badische Verfassung von 1818 und
ein Jahrhundert badischer Verfassungswirklichkeit. In: Oberrheinische Studien. Bd. 2.
Neue Forschungen zu Grundproblemen im 19. und 20. Jahrhundert. Karlsruhe: Braun
1973, 93-132.

3 Dazu ergänzend Gall: Die partei- und sozialgeschichtliche Problematik des badischen
Kulturkampfes. In: ZGO 113, 1965. Jetzt auch in Oberrhein. Studien Bd. 2, 93-132.

4 Als Standardbeleg liberaler Anpassung gilt die Schrift von Hermann Baumgarten: Der
deutsche Liberalismus: eine Selbstkritik. Die seinerzeit in den Preußischen Jahrbüchern
erschienene Schrift hat Adolf M. Birke als Ullstein-Buch Nr. 3034, 1974 neu herausgegeben
.

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