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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1976/0219
Besprechungen

portunismus, bei den Demokraten auf Grund eines Doktrinarismus, der sie politisch aus
dem Rennen warf. Folge die Verfestigung des überkommenen Obrigkeitsstaates in Württemberg
wie auf Reichsebene, wobei man allerdings fragen muß, ob dem von Württemberg
aus entgegenzuwirken gewesen wäre. Nun, Langewiesches Schlußfolgerung ist lapidar
, umso überzeugender die Nachzeichnung des Weges, der zu diesem Ergebnis führte.

Eine weitere Arbeit, eine Dissertation von Joachim Rückert, befaßt sich mit einer Einzelpersönlichkeit
, mit August Ludwig Reyscher, einem schwäbischen Juristen des 19. Jahrhunderts
, der als „politischer Professor" gleichzeitig aktiv am politischen Leben beteiligt
war. Solche Biographien können, da die Parteien von vor 1870 noch keine Parteien im
modernen Sinn waren, sondern überwiegend „Honoratiorenparteien", in denen dann der
Einzelne, die Kontakte von Person zu Person, von Zirkel zu Zirkel eine wichtige Rolle
spielten, großen Aufschluß über die Entwicklung der Parteien wie auch des politischen
Denkens geben. Reyscher, 1802-1880, stammte aus einer nicht gerade begüterten Pastorenfamilie
in Unterriexingen bei Vaihingen. Nach einer Schreiberausbildung kurze entsprechende
Anstellung, dann Studium der Jurisprudenz in Tübingen, Stiftler, wieder kurzer
Staatsdienst, dann Professor der Rechte in Tübingen, 1851 jedoch aus politischen
Gründen entlassen, schließlich Rechtsanwalt. Reyscher war zudem ein zeitlebens politisch
engagierter Mann, erst Burschenschafter, dann Mitglied in verschiedenen Gremien, wie
Vorparlament, württembergischer Kammer, Promotor des Nationalvereins in Württemberg
, Mitbegründer der deutschen Partei und schließlich Mitglied des ersten Reichstags.

Als Gelehrter gehörte Reyscher nicht zu den großen Juristen des 19. Jahrhunderts,
noch war er ein origineller und tiefgründiger Denker. Das macht ihn nicht gerade zu
einem lohnenden Objekt für einen Biographen. Umgekehrt spiegeln sich in einem Mann der
zweiten Garnitur Zeitgeist, Zeitströmungen, Entwicklungen oft besser als in einem Großen
, und reizvoll mußte auch die Aufgabe sein, die Wechselwirkung von politischem Engagement
und der Tätigkeit des Gelehrten darzulegen. Beidem nachzugehen war denn
auch Rückens Anliegen. Notgedrungen wurde dabei seine Arbeit über weite Strecken zu
einer Erhellung von Reyschers Umwelt, zur Darstellung der Einflüsse, der „Bezüge", des
Verhältnisses Reyschers zu .... Eine enorme Belesenheit (Folge ein gerade noch erträglicher
Anmerkungsapparat), aber auch ein offensichtliches Behagen an solcher Umweltforschung
haben dann freilich nicht selten dazu geführt, daß der Klient oft mehr hinter den
Bezügen verschwindet als griffige Konturen gewinnt, es sei denn die eines Eklektikers
mit sehr viel gutem Willen, aus dem Aufgenommenen eigene Beiträge zu liefern. Von bleibendem
Wert dabei ohne Zweifel Reyschers Bemühen um das Partikularrecht, hier das
württembergische. Ansonsten gehörte Reyscher zu jener jüngeren Generation von Juristen,
die sich von der beherrschenden Figur eines Savignys und aus der historischen Rechtsschule
zu lösen und auf eigene Beine zu kommen suchten. Dazu gehörte auch die Absage an
die Romanisten und die Hinwendung zu den Germanisten. Um nun wenigstens einen der
Bezüge, die für Reyscher wichtig sind, zu nennen, so die Nachwirkung der Spätaufklärung
und ihres Utilitarismus, die Umsetzung ins Juristische dann ein Recht, das dem Volk
und seinen „Bedürfnissen" zu dienen hat, wobei ins Politische gewandt unter Volk jener
Mittelstand zu verstehen ist, aus dem auch Reyscher kam, das Bedürfnis in erster Linie
dann der Drang nach politischer Emanzipation. Reyscher war somit „Frühliberaler", verfassungsrechtlich
Anhänger der konstitutionellen Monarchie, insgesamt der Vertreter einer
„pragmatisch-liberalen allgemeinen Rechtslehre" (S. 319). Im Umfeld des Reyscherschen
Pragmatismus stellt Rückert nun einen für Reyschers Rechtsdenken zentralen Begriff heraus
, die „Natur der Sache" als eine der Quellen und Orientierungspunkte für Recht und
Gesetz. Es ist ohne Zweifel ein Topos, über den das Recht in der Tat sachgerecht und
praktikabel zu machen ist, auf der anderen Seite aber doch wohl auch in einer Weise subjektivem
Ermessen anheimgegeben, daß er nahezu beliebig mit Inhalt aufzufüllen ist und
so leicht zu Opportunismus verführt. Sollte der Begriff vorausweisen auf ähnliche wie
etwa Natur der Dinge, Naturnotwendigkeit, Macht der Tatsachen, mit denen ein gut Teil
des liberalen Bürgertums, darunter auch Reyscher, gegen Ende der 60er Jahre die Bis-

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