Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
13(100).1977
Seite: 176
(PDF, 41 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1977/0186
Neues Schrifttum

Sozialproduktes, zur Einkommensentwicklung und Einkommensverteilung, zur vertikalen
und sozialen Mobilität - wurden von den Autoren in einem eigenen Band vorgestellt und
quellenmäßig erfaßt (vgl. G. Hohorst, J. Kocka und G. A. Ritter [Hrsg.]: öffentliches
Arbeitsbuch. Materialien zur Statistik des Kaiserreichs 1870-1914. München 1974).

Die edierten Quellen entstammen ausnahmslos zeitgenössischen Selbstbiographien, Tagebüchern
, Briefen, statistischen Erhebungen, sozialwissenschaftlichen Abhandlungen, Gedichten
und Romanen, Zeitungen, publizistischer Zweckliteratur und Protokollen parlamentarischer
Gremien. Das überaus informative Material, in dem der „Alltag des Lebens
der Vielen" (S. 4) mitgeteilt und erschlossen werden soll, ihre materiellen Existenz- und
Arbeitsbedingungen, ihre Nöte und Erwartungen, ihre geistigen Interessen und schulischen
Ausbildungsmöglichkeiten, ihr eheliches und familiäres Verhalten, ihre Freizeitbeschäftigung
und ihr Sozialverhalten, wird in insgesamt dreizehn Einzelkaptel aufgegliedert. Kapitel
1-3 dokumentieren allgemeine „Grundzüge der Zeit": „Industrialisierung", „Bevölkerungsentwicklung
und Verstädterung", „bürgerliche Gesellschaft und die Grenzen der
Bürgerlichkeit". In den Kapiteln 4-12 werden soziale Gruppen - gesellschaftliche Außenseiter
, Dienstmädchen und Lohnarbeiter, Landwirte und mittelständische Kleinbürger,
durch „Besitz und Bildung" ausgezeichnete akademische Eliten, edelgeborene Großagrarier
und großbürgerliche, in Industrie, Handel und Bankwesen tätige Führungsschichten — in
ihren schichtspezifischen Arbeits- und Lebensverhältnissen, ihren inneren Differenzierungen
und Prägungen vorgestellt. Kapitel 13 thematisiert das Beziehungsgefüge zwischen
diesen sozial ungleichen Gruppen, die „Dynamik des Konflikts", die sozialen Spannungen,
die sich „aus dem Drängen der Unterprivilegierten nach Verbesserung ihrer Lebenschancen
, nach sozialer und politischer Emanzipation sowie auf Veränderung von Staat, Wirtschaft
und Gesellschaft einerseits, aus der Abwehr dieser Bestrebungen durch die herrschenden
Kräfte andererseits ergaben" (S. 382).

Die veröffentlichten Quellenstücke beleuchten fast ausnahmslos Wirtschafts- und Gesellschaftsverhältnisse
des nord- und nordwestdeutschen Raumes, in dem die sozialen und
wirtschaftlichen Umstrukturierungsprozesse der damaligen Zeit erheblich konfliktreicher,
Sprung- und krisenhafter verliefen als im deutschen Südwesten. Dieser wird in dem umfangreichen
Quellenband nur durch zwei Texte repräsentiert. Rudolf Binding berichtet
nicht ohne Ironie über seinen Studienanfang in der Universitätsstadt Tübingen, der „frisches
, farbiges, studentisches Leben in einer drolligen Wichtigkeit" (S. 338) nachgerühmt
wird. Aus den Erhebungen von Fritz Schumann über „Die Arbeiter der Daimler-Motoren-
Gesellschaft Stuttgart-Untertürkheim" (in: Schriften des Vereins für Sozialpolitik. Bd. 135
[1911] Teil 1, S. 145 ff.) kommen sozialgeschichtlich überaus instruktive Abschnitte zum
Abdruck (S. 278 f.). Schumanns breit angelegte Erhebungen geben Aufschlüsse über die soziale
und regionale Herkunft der bei Daimler-Benz tätigen Arbeiterschaft, über ihren Bildungsstand
und ihre Bildungsinteressen, ihre Verdienstmöglichkeiten und Heiratsgewohnheiten
(„Der Arbeiter heiratet frühzeitig. Die Hälfte der Kinder kommen schon vor der
Ehe oder kurz nach derselben zur Welt"), ihre von ihrem sozialen Lebenskreis geprägte
Mentalität („Für die Begleiterscheinungen des Klassenkampfes zeigt er [der Arbeiter der
Daimler-Motoren-Gesellschaft] weniger Verständnis als seine Kollegen außerhalb Württembergs
. . . der Arbeiter ist auffallend bodenständig. . . die Ansichten des Arbeiters über
seine Berufswahl, sein Leben und seine Zukunft lauten sehr pessimistisch und sehr resigniert
. Sie zeigen die Freudlosigkeit der Angehörigen des vierten Standes").

Das Buch entwirft Grundlinien für eine noch zu schreibende „Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
der deutschen Kaiserzeit". Es verkörpert eine gelungene Verbindung von darstellender
Dokumentation und erklärender Analyse. Die Antwort auf die Frage, ob und
inwieweit auch Denk- und Verhaltensformen von heute noch dem politischen und sozialen
Erbe des 19. Jahrhunderts verpflichtet sind, überlassen die Herausgeber dem Leser selbst.
Sie wollen nicht indoktrinieren, sondern aufklären.

Bielefeld Klaus Schreiner

176


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1977/0186