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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1978/0202
Ziegler

Kaufmann Leonor Reichenheim! gebeten, die gewerblichen Verhältnisse zu untersuchen
und Vorschläge zu deren Verbesserung auszuarbeiten. Leonor Reichen-
heim, geboren am 3. 5.1814 in Bernburg, gestorben am 26.1.1868 in Berlin, war
Teilhaber der Woll- und Garnspinnerei und -weberei in Wüstegiersdorf. Dieser
Betrieb soll nach Jacobson Ende der sechziger Jahre 2500 Arbeiter, darüber hinaus
noch Heimwerker von unbekannter Zahl beschäftigt haben. Reichenheim
hatte in Wüstegiersdorf ein Krankenhaus eingerichtet „mit einem Kostenwert von
18 000 Talern", hatte sich bei der Übernahme des Betriebs verpflichten müssen,
eine wohltätige Einrichtung zu schaffen und tat das mit dem Bau eines Waisenhauses
, stiftete darüber hinaus eine Schule und unterstützte die Sonntagsschulen in
Wüstegiersdorf, Reichenbach und Waldenburg, spendete für das Gewerbeinstitut
und die Universität Berlin, war Vorsitzender des Berliner jüdischen Krankenhauses
und Leiter des Brüdervereins, wurde 1854 im Alter von 40 Jahren Kom-
merzienrat, 1864 Stadtverordneter und 1867 Stadtrat. „Von 1859 bis zu seinem
Tode war er Mitglied des [preußischen] Abgeordnetenhauses und schloß sich in
der für die Freihändler typischen Entwicklung zunächst der Fraktion Vincke, dann
dem Fortschritte (Schmelzer), schließlich den Nationalliberalen an. Als Mitglied dieser
Partei saß er auch im ersten Norddeutschen Reichstag. Während der neuen Ära
galt Reichenheim als führender Wirtschaftspolitiker seiner Fraktion" (Volkmann).

Aus den Akten des Staatsarchivs Sigmaringen ist nicht ersichtlich, warum
gerade Reichenheim den hohenzollerischen Auftrag erhielt; doch darf ein enger
Zusammenhang mit der Ernennung zum Kommerzienrat im gleichen Jahr vermutet
werden. Spätestens seit 1848 waren die Reichenheims mit der Berliner
Bürokratie in Verbindung getreten, als sie die von der Seehandlung3 1844 in

*a Die Angaben zu Leonor Reichenheim sind der Literatur entnommen: Jacob Jacobson:
Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin 1809 bis 1851, Berlin 1961; Adolf Richter:
Bismarck und die Arbeiterfrage, Stuttgart 1933; Heinrich Volkmann: Die Arbeiterfrage
im preußischen Abgeordnetenhaus 1848 bis 1869, Berlin 1968.
b Reichenheim hatte 1864 einige seiner Arbeiter entlassen. In der politischen Auseinandersetzung
zwischen Liberalen und Konservativen nutzten der „Kreuzzeitung" nahestehende
Kreise und Bismarck die Situation und verschafften den Arbeitern Audienz beim
preußischen König, der auch Abhilfe versprach. Bismarcks Lösung bestand in der
Etablierung der sog. Wüstegiersdorfer Produktivgenossenschaft, deren Struktur in verblüffender
Weise sowohl den eben mitgeteilten Überlegungen Reichenheims ähnelt als
auch Lasalles Gedanken in: Offenes Antwortschreiben an das Zentralkomitee, Zürich
1863. Ob es hier Zusammenhänge gibt oder autonome Entwicklungen vorliegen, mag
einer anderen Untersuchung vorbehalten bleiben.

Bismarck ließ die Petenten zu einer Produktivgenossenschaft zusammenfassen, beauftragte
den zuständigen Landrat (Kreis Reichenbach) mit der Aufsicht, sorgte z. T. persönlich
für gemeinsamen Einkauf der Rohstoffe und den Vertrieb der Produkte, ließ
einen Webmeister anstellen und gab erhebliche finanzielle Zuwendungen. Insgesamt war
diesem Modell ebensowenig Erfolg beschieden wie Reichenheims Vorschlägen für Ho-
henzollern: Die Produktivgenossenschaft fallierte nach einem Jahr.
3 Die 1772 gegründete Generaldirektion der Seehandlungssozietät wurde 1820 zur Preußischen
Staatsbank umgewandelt, seitdem beteiligte man sich vornehmlich an industriellen
Unternehmungen. Seit 1850 wurden ausschließlich Bankgeschäfte betrieben, besteht
heute noch (Sitz Berlin); vgl. Arthur Nußbaum, Die preußische Seehandlung. In: An-
nalen des deutschen Reiches für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 1905,
S. 31-53, 130-146.

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