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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1981/0019
Owingen 1584

1. THEORETISCHE VORORIENTIERUNG:
PEASANT SOCIETY - SOCIETE PAYSANNE

Wenn auch manche Probleme der Interpretation sozialen Protests noch offen sind
bzw. noch diskutiert werden, ist sich die Forschung zumindest darin einig, daß sozialer
Protest auf gesellschaftliche Spannungsfelder und Konfliktzonen verweist13. Der Analyse
sozialen Protests - und um einen solchen handelt es sich ja beim Owinger Aufstand -
ist daher eine Gesellschaftstheorie zugrunde zu legen, die es erlaubt, spezifische
Konfliktfelder der zur Diskussion stehenden Gesellschaft systematisch zu erfassen.
Angesichts des Ungenügens gängiger Feudalismustheorien14 bietet sich dabei für das
späte 16. Jahrhundert der Rückgriff auf die seit etwa zehn Jahren im angloamerikani-
schen und französischen Bereich intensiv diskutierte Theorie der »peasant society -
societe paysanne« an15.

Nach dieser Theorie zeichnen sich Bauern durch zwei Charakteristika aus:

1. Bäuerliche Produktion zielt wesentlich auf die Befriedigung der Subsistenzbedürf-
nisse16 des bäuerlichen Haushalts ab. Das Produkt der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit
wird daher weniger unter dem Aspekt seines Tauschwertes, also danach, wieviel dafür
auf dem Markt zu erzielen wäre, als unter seinem Gebrauchswert betrachtet, also
danach, wieweit es dazu beiträgt, die Bedürfnisse des bäuerlichen Haushalts zu decken17.

2. Daneben ist der bäuerliche Haushalt jedoch gezwungen, über die Befriedigung seiner
Bedürfnisse hinaus ein Mehrprodukt, einen Surplus18, zu erwirtschaften. Im Gegensatz

13 Ausführlicher dazu Rainer Wirtz, »Widersetzlichkeiten, Excesse, Crawalle, Tumulte und
Skandale« - Soziale Bewegung und gewalthafter sozialer Protest in Baden 1815 bis 1848
Frankfurt/M. usw. 1981 S. 13 ff.

14 Zu recht wäre vom Verfasser eine eingehende Begründung dieses Urteils zu fordern. Da dies aber
den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, seit stattdessen auf zwei eingehende und kritische
Darstellungen verwiesen, die allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Ludolf
Kuchenbuch/Bernd Michael, Feudalismus. Materialien zur Theorie und Geschichte. Frankfurt
usw. 1977; Alain Guerreau, Le Feodalisme. Un horizon theorique. Paris 1980.

15 Für die angloamerikanische Diskussion vgl. insbesondere die beiden Reader: Peasants and
Peasants Societies (ed. Teodor Shanin), Harmondsworth 51979, und Peasant Society (ed. Jack
M. Potter, May N. Diaz, George M. Foster). Boston 1967. Für die französiche Diskussion
insbesondere Henri Mendras, Societes paysannes. Elements pour une theorie de la paysannerie.
Paris 1976.

16 Zu einer genaueren Fassung des Subsistenzbegriffs vgl. unten S. 18 f

17 James C. Scott, The Moral Economy of the Peasant. New Häven 21977, S. 157; ähnlich Henri
Mendras, Un Schema d'analyse de la paysannerie occidentale II, in: Peasant Studies Newsletter I
(1972), S. 126, S. 139f.; Rodney Hilton, The Nature of Medieval Pesant Economy, in: Ders.,
Bond Men Made Free. London 1973, S. 25; Eric R. Wolf, Peasants. Englewood Cliffs (N.J.)
1966, S. 2; Mendras, Societes paysannes (wie Anm. 15), S. 39ff.; Teodor Shanin, The Nature
and Logic of Peasant Economy I, in: Journal of Peasant Studies 1 (1973), S. 67ff.; Peter
Kriedte, Hans Medick, Jürgen Schlumbohm, Industrialisierung vor der Industrialisierung.
Gewerbliche Warenproduktion auf dem Land in der Formationsperiode des Kapitalismus.
Göttingen 1978, S. 90 ff.; generell und grundlegend zu diesem Modell der >Familienökonomie< A.
V. Cajanov, Peasant Farm Organisation, in: Ders., On the Theory of the Peasant Economy.
Hg. v. D. Thorner, B. Kerblay, R. E. F. Smith. Homewood/Illinois 1966, S. 29-269.

18 Im folgenden soll dieser vor allem in der englischen Diskussion eingebürgerte Begriff verwendet
werden, um deutlich zu machen, daß die verschiedenen bäuerlichen Abgaben und Dienste nur
verschiedene Erscheinungsformen ein und derselben Sache sind. Für die englische Diskussion
vgl. Caglar Keyder, Surplus, in: Journal of Peasant Studies 2 (1975), S. 221-224.

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