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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0098
Agathe Kempf

jedoch nicht. Die geographische Enge und der hohe Bevölkerungsanteil, der in der Landwirtschaft
arbeitete, waren zwar Ursache der wirtschaftlichen und technischen Rückständigkeit des
Landes (bzw. der Länder). Andererseits aber entstanden auch aus diesen Gründen in
Hohenzollern nicht - oder doch nicht in demselben Ausmaß - die sozialpolitischen Probleme,
wie sie die Industrialisierung in größeren Staaten hervorrief. Schwerwiegende soziale Umwälzungen
wie in Großstädten und eine typische Industriearbeiterschaft als eigene soziale Klasse
traten in Hohenzollern nicht auf412.

Von »Pauperismus« im eigentlichen Sinne konnte nie die Rede sein. Der - wenn oft auch
kleine - Besitz an Grund und Boden verhinderte eine Proletarisierung. Fast jede Familie betrieb
eine Landwirtschaft, teils im Haupt-, teils im Nebengewerbe. Hohenzollerns Einwohner
waren daher nie ganz von den Einkünften der Fabrikarbeit abhängig. Die Familien wurden
nicht auseinandergerissen, die Welt der Arbeiter blieb klein und überschaubar. Ihr landwirtschaftliches
Gepräge behielten die Hohenzollerischen Lande während des 19. und anfangs des
20. Jahrhunderts. Es entstand die Berufsgruppe der »Arbeiterbauern«, die ihrer ursprünglichen
Hauptbeschäftigung stets verwurzelt blieben. Der Ubergang von althergebrachter Denk- und
Handlungsweise zur modernen industriellen Gesellschaft vollzog sich verzögert und eher
schleppend.

Ein grundlegender Wandel der Verhältnisse trat auch unter preußischer Verwaltung nicht
ein. In Berlin wurde man sich nach anfänglichen Bemühungen und starkem Einsatz für
Hohenzollern darüber klar, daß die dortige Bevölkerung für eine rasch einsetzende Industrialisierung
und Modernisierung des Landes nicht sehr aufgeschlossen war. Der ursprüngliche Eifer
ließ bald nach. In Hohenzollern herrschte noch lange eine kleingewerbliche und handwerkliche
Struktur vor, als in den beiden Nachbarländern Württemberg und Baden schon längst eine
fortschrittlichere industrielle Entwicklung im Gange war.

Die Stadt Haigerloch fügte sich in diesen Rahmen bei ortsspezifischen Besonderheiten ein.
Das lange Zeit einzige Industrieunternehmen in Haigerloch, die Baumwollspinnerei Karlstal,
stand - nicht nur in Haigerloch, sondern auch in ganz Hohenzollern - am Anfang der
Industrialisierung.

Als die Spinnerei Karlstal, die im Jahr 1838 als fürstliche Sozialstiftung gegründet worden
war, 1863 für einige Zeit stillgelegt wurde, hatte sie ihren ursprünglichen Hauptzweck erfüllt:
Die Arbeitsplatzsituation im hohenzollerischen Unterland hatte sich inzwischen weitgehend
verbessert. Nichtsdestoweniger verdienen der Mut und die Initiative der beiden Unternehmer
Meyer und Kober aus Berg bei Stuttgart Anerkennung. Sie kauften die veraltete Spinnerei im
Jahr 1866 auf und meisterten stets die u. a. durch die mangelnde Wasserkraft und die ungünstige
verkehrsgeographische Lage auftretenden Probleme. Meyer und Kober verhalfen dem Unternehmen
zu einem erneuten kontinuierlichen Aufschwung. Heinrich Meyer und seinen
Nachkommen kommt hierbei das größte Verdienst zu.

Positiv müssen die sozialen Leistungen der Spinnerei seit ihrer Gründung im Jahr 1838/39
hervorgehoben werden. Seit dieser Zeit existierte eine Unterstützungskasse für die beschäftigten
Arbeiter. Die Fabrik war damit der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht für gewerbliche
Arbeiter um eine knappes halbes Jahrhundert voraus. Dies stellt bei den damaligen sozialen
Zuständen eine beachtliche Leistung dar.

Ferner darf die wirtschaftliche Seite und die daraus resultierende Bedeutung der Spinnerei
nicht vergessen werden. Karlstal bildete und bildet auch heute noch für die Bevölkerung
Haigerlochs und dessen Umgebung eine wichtige Einkommensquelle. Besonders im vorigen
Jahrhundert, als die Arbeiter aufgrund der ungenügenden Verkehrsmittel weniger mobil waren,

412 Zur allgemeinen Lage der Industriearbeiterschaft: W. Hoffmann, Stadien und Typen der Industrialisierung
. Ein Beitrag zur quantitativen Analyse historischer Wirtschaftsprozesse (Probleme der Weltwirtschaft
. Schriften des Instituts für Weltwirtschaft und Seeverkehr an der Universität Kiel 54) Jena 1931, v. a.
S. 229 ff. Henning (wie Anm. 5) S. 33.

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