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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1983/0210
Neues Schrifttum

Arno Borst: Mönche am Bodensee 610-1525. Sigmaringen: Jan Thorbecke Verlag 1978: 584 S. mit 89 Abb.
(Bodensee-Bibliothek Band 5).

Kirchengeschichte und Sozialgeschichte standen in der bisherigen Mittelalterforschung zumeist nicht
sehr nahe beieinander. Wie beispielsweise die Kontroverse um die Einflüsse der Klosterreformen von Gorze
und Cluny gezeigt hat, stritt man oft über Ideen, ohne deren soziale Wirkungen und Hintergründe genauer
zu untersuchen. Dem Konstanzer Historiker Arno Borst ist es mit seinem Buch über »Mönche am
Bodensee« gelungen, ein Beispiel dafür zu geben, wie Kirchen- und Sozialgeschichte ohne jede platte
Prioritätensetzung integriert werden können.

Nach einer launigen Einleitung schildert Borst die Entwicklung des Mönchtums im Bodenseeraum vom
7. bis zum 16. Jahrhundert. Diese Entwicklung gliedert er in vier Abschnitte.

Die »Askese in der Adelskirche«, wie der erste Abschnitt überschrieben ist, dauerte vom 7. bis zum
10. Jahrhundert. Anhand der Lebensgeschichten von Gallus und von Otmar von St. Gallen beschreibt
Borst, in welchem Zustand diese Pioniere des Mönchtums den Bodenseeraum im Frühmittelalter
vorfanden. Nachdem er noch Walahfrid von der Reichenau, Adelinde aus Buchau und den Einsiedler Abt
Gregor vorgestellt hat, arbeitet Borst in einem zusammenfassenden Rückblick die Charakteristika dieser
ersten Phase mönchischen Lebens am Bodensee heraus: »der große Abstand zwischen Mönchtum und
Welt«; »die Unabhängigkeit des Einzelklosters und die Machtfülle des Abtes«; die Vereinzelung der
Klöster, die der damaligen spärlichen Besiedlung des Gebiets entsprach; das Leitbild des »heroischen
Asketen« für die frühen Mönche sowie Stabilität und langsame Entfaltung der Klöster.

Ähnlich wie der erste sind auch die folgenden Teile gegliedert, wobei es Borst gelingt, mit Hilfe der
Biographien von einzelnen Mönchspersönlichkeiten die Grundzüge der Geschichte der bedeutendsten
Klöster am See (Reichenau, St. Gallen) zu skizzieren. Uber die Reichenau erfährt man Grundlegendes
anhand der Lebensgeschichte des aus Altshausen stammenden Mönchs Hermann des Lahmen. Hermann ist
das erste Beispiel für die »Reform in der Priesterkirche«, die im 11. und im 12. Jahrhundert stattfand. Diese
Reform führte zur Verringerung des Abstands zwischen Geistlichen und Laien sowie zur Ausbildung von
Klosterverbänden. Aufgrund der größeren Menschenansammlungen, vor allem in den Städten, erwuchsen
den Mönchen auch Seelsorgeaufgaben. Vor dem Hintergrund eines wirtschaftlichen Aufschwungs der
Region erlebte das Mönchtum »einen dynamischen Höhepunkt, der ebenso anstachelnd wie anstrengend
war« (S. 190).

Vom 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts schrumpfte »der Abstand zwischen Kloster und Welt«
weiter (S. 281). In den aufstrebenden Städten galten die Mönche nicht mehr als statuarische Heilige sondern
als »gewöhnliche Sterbliche«. Die Bettelorden der Franziskaner und der Dominikaner hatten auf der
Grundlage der in den Städten durchgesetzten Geldwirtschaft Bestand. Auf dem Land konnten sich die
Zisterzienser im Gegensatz zu ihren benediktinischen Kollegen zunächst unabhängig von den aufstrebenden
Ministerialen (Ritter) ihren Lebensunterhalt sichern, indem sie ihr Land selbst bebauten.

Auswüchse in der Laienkirche und verschiedene Krisenerscheinungen führten zahlreiche Mönche vom
Ende des 14. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts zu einer »Absage an die Bürgerkirche«, zu einem
»Rückzug ... aus der Gesellschaft« (S. 374). Die Machtansprüche der sich ausbildenden territorialen
Flächenstaaten bedrohten die wirtschaftliche Grundlage der alten Klöster, die neuen politischen Grenzen
setzten übergreifenden Ansprüchen der Mönche ein Ende. An die Stelle des »Allerweltsmönchs« trat der
»Außenseiter, der Innerlichkeit pflegte und am liebsten schwieg« (S. 375). Hatten zunächst die »Sozialformen
der Adligen und Bürger ... auch die Mönchsverbände« verwandelt und sie »von der asketischen
Gottsuche immer weiter in die aktive Weltgestaltung« gedrängt (S. 384), so kamen jetzt die Mönche »mit
Gott immer mehr ins Gespräch«, hatten aber »den Mitmenschen immer weniger zu sagen« (S. 376).

In seinen Schlußbemerkungen, die die kompakten »Rückblicke« am Ende der jeweiligen Kapitel an
Aussagekraft nicht übertreffen, diskutiert Borst auch den »Unterschied zwischen Neuzeit und Mittelalter«
(S. 377). Er meint, daß das Leben mittelalterlicher Mönche mehr Außenwirkung entfaltete, »weil sie die
Bindung an die Lebensgemeinschaft und die Erfüllung ihrer Gelübde umfassender als moderne Christen
verstanden und verwirklichten« (S. 377). Dies trifft gewiß zu, es bleibt jedoch die Frage, inwieweit nicht die
insgesamt wichtigere Rolle, die die Kirche in der mittelalterlichen Welt spielte, für die größere Bedeutung
des Mönchtums wesentlicher war.

In jedem Fall sollte man sich aber an Borsts abschließende Aufforderung, »von den Toten (zu) lernen,
um über die Zukunft frei zu verfügen« (S. 389), halten: Borsts Buch, mit großer Zuneigung für die
mittelalterlichen Mönche verfaßt, macht deutlich, wie viel uns heute noch die Beschreibung und die Analyse
auch der mittelalterlichen Geschichte sagen können.

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