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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1983/0211
Besprechungen

Bedauerlich ist, daß der informative Abbildungsteil (am Schluß des Buches) nicht in den Text integriert
werden konnte. Aufgrund des ausgezeichneten sprachlichen Ausdrucks und der übersichtlichen Gliederung
ist das Buch aber auch ohnedies eine instruktive Lesefreude, der große Verbreitung zu wünschen ist.

Darmstadt Alfred Georg Frei

Georges Duby: Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus. Übersetzt von Grete Osterwald.
Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1981. 511 S.

Der Autor untersucht nicht Raum-, Zeit-, Natur- und Gottesvorstellungen der mittelalterlichen
Gesellschaft, wie es der Untertitel des Buches »Weltbild« vermuten lassen könnte; Gegenstand des Buches
sind Vorstellungen über die soziale Gliederung der mittelalterlichen Feudalgesellschaft; zur Sprache
gebracht werden Geschichte und Funktion eines Ordnungsmodells, welches die Gesamtgesellschaft in drei
»Stände« aufgliederte - in die betenden Kleriker und Mönche, in die schwerttragenden und kämpfenden
Ritter und Herren sowie in die arbeitenden und abgabepflichtigen Bauern. Dubys Leitfrage lautet: Warum
ist dieses Gliederungsschema, das sogenannte »System der Trifunktionalität«, gerade zu Anfang des
11. Jahrhunderts zu einem gesellschaftlichen Ordnungsprinzip geworden?

Die Frage nach der Herkunft dieses dreigliedrigen Schichtungsschemas beantwortet Duby durch den
Hinweis auf die beiden Bischöfe Adalbero von Laon und Gerhard von Cambrai, zwei miteinander versippte
Männer der lotharingischen Aristokratie, die nach Dubys Ansicht »die ersten waren, die das Thema der
sozialen Trifunktionalität zur Sprache brachten« (S. 28).

Das Kernstück des Buches bilden Erwägungen über die äußeren Umstände, über politische, wirtschaftliche
und soziale Vorgänge und Strukturen, die das dreigliedrige Gesellschaftsmodell letztlich hervorbrachten
. Duby hält es für angebracht, den Blick nicht ausschließlich auf Wörter und Begriffe zu richten. »Wir
dürfen den umwälzenden Aufschwung der Produktivkräfte nicht vergessen, die Fortsetzung eines
landwirtschaftlichen Auftriebs, beschleunigt durch eine günstige Klimaschwankung, die zwar geringfügig
blieb, den Ertrag der Einsaaten aber dennoch erhöhte; und auch nicht den demographischen Zustrom, der
sich einstellte, nachdem die letzten Überreste der Sklaverei, deren allzu rigide Rahmenstrukturen in
Nordfrankreich durch die letzten Invasionen sichtbar geworden waren, aus den Landesherrlichkeiten
verschwanden« (S. 185).

Aus diesen Überlegungen bestimmt sich Dubys leitende Frage: »In welcher Beziehung steht dieses
Modell zu den konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen?« (S. 22). Diese Frage verbindet Duby mit
grundsätzlichen Erwägungen über die »Beziehung zwischen dem Materiellen und dem Geistigen in der
Entwicklung der Gesellschaften« (S. 22).

Was die Ausbildung dieses »ideologischen Systems« im Jahre 1025 verursachte, waren nach Ansicht
Dubys strukturelle Veränderungen, »welche die gesellschaftliche Formation in ihren tiefsten Tiefen
erschütterten« (S. 186). In funktionaler Hinsicht stelle das »Bild der trifunktionalen Dreiteilung« (S. 22)
den »Gegenpol zu drei gegnerischen Modellen« (S. 191) dar - zur Ketzerei, welche die bestehende
Ständeordnung in Frage stellte und eine egalitäre Gesellschaft von gleichen und freien Menschen anstrebte,
zum Gottesfrieden, der auf einem gefährlichen »Bündnis zwischen den mächtigen Laien und dem
emporgekommenen Teil des Volkes« (S. 207) beruhte, schließlich noch zum cluniazensischen Mönchtum,
das von einer Gesellschaft träumte, »die sich auf ihrem Weg zum Heil wahrhaft reinen, ganz und gar von der
Korruption der Welt befreiten Führern anvertraut« (S. 209). Die Ziele des cluniazensischen Mönchtums
habe die »traditionellen Bischöfe« um so stärker beunruhigen müssen, »als die reformierten Klöster in enger
Verbindung zu jenen Mächten standen, die sich vom königlichen Einfluß freimachten« (S. 210). Im Ringen
um die Um- und Neuverteilung der politischen Macht zwischen Königtum und hohem Adel hätten sich die
Mönche gegen den König gestellt und Partei für den Adel ergriffen. Als »Instrument der Restauration«
(S. 185) habe sich das »System der sozialen Klassifikation« (S. 221) letztlich auch gegen die aufstrebende
Ritterschaft und gegen die freiheitsdurstige bäuerliche Bevölkerung gerichtet. Diese in Unterwürfigkeit und
Sklaverei zu halten, sei oberstes Ziel der kirchlichen Aristokraten gewesen.

Dubys Verortung eines sozialen Ordnungs- und Erklärungsmusters beeindruckt durch Scharfsinn und
Gedankenreichtum. Das Buch liest sich als Paradigma einer Mentalitätsgeschichte, der es geüngt, soziale
Vorstellungen und soziale Tatsachen in einen wechselseitigen Zusammenhang zu bringen. Gleichwohl:
Auch die sorgfältigste Verwirklichung eines Konzepts, das von der gegenseitigen Durchdringung mentaler
und materieller Gegebenheiten ausgeht, stößt an Grenzen historischer Erkenntnis. Vieles muß Hypothese

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