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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1983/0212
Neues Schrifttum

bleiben, was sich als gesichertes Resultat ausgibt. Duby rechnet nicht mit der topischen Gebundenheit und
der Austauschbarkeit gesellschaftlicher Ordnungsschemata. Er rechnet auch nicht mit der Möglichkeit, daß
überlieferte Deutungs- und Gliederungsmuster unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen eine neue
Aktualität gewinnen können und deshalb von neuem aufgegriffen werden. Anders gesagt: Auf Herausforderungen
der sozialen Umwelt wurden zu Anfang des 11. Jahrhunderts Antworten gegeben, die in
überlieferten Wissensbeständen angelegt und vorformuliert waren. Dessen ungeachtet bleibt das Buch ein
anregendes und gedankenreiches Musterbeispiel für die von französischen Mediävisten betriebene »histoire
franc,aise des mentalites«.

Der Rang des französischen Originals wird jedoch durch eine schlechte Ubersetzung erheblich
gemindert. Wer aus Dubys Monographie sachlichen Gewinn, methodische Anregung und üterarisches
Vergnügen gewinnen will, muß zur französischen Originalfassung greifen.

Bielefeld Klaus Schreiner

Georges Duby: Die Zeit der Kathedralen. Kunst und Gesellschaft 980-1420. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
1980. 561 S. und 35 Abb.

Der Autor, Professor für mittelalterliche Geschichte am College de France in Paris, unstreitig einer der
anregendsten und produktivsten Mediävisten des heutigen Frankreich, untersucht Beziehungen zwischen
Kunst und Gesellschaft in der Zeit zwischen dem ausgehenden 10. und beginnenden 15. Jahrhundert. Dem
Verfasser geht es weder um die Entwicklung von Architekturformen noch um stilistische Formanalysen von
Malerei und Plastik. Duby sucht deutlich zu machen, in welcher Weise politische, wirtschaftliche und
kulturelle Gegebenheiten den Bau und die künstlerische Gestaltung von Klöstern, Kathedralen und
Herrensitzen in der Zeit zwischen 980 und 1420 beeinflußten. Darüber hinaus ist er bestrebt, die Abfolge
der gesellschaftlichen und künstlerischen Veränderungen räumlich einzugrenzen und regional zu verorten.
In der holprigen Wiedergabe seiner Gedankengänge durch die Übersetzerin Grete Osterwald lautet Dubys
Programm so: »Wer sich darum bemüht, die wahren Zusammenhänge zwischen der Geburt des
Kunstwerks, der Struktur der sozialen Beziehungen und den Gedankenströmungen zu erfassen, muß die
Komplexität dieser Geographie der hohen Kultur stets aufmerksam berücksichtigen« (S. 169).

Um die materiellen und geistigen Rahmenbedingungen der Kunst im frühen, hohen und späten
Mittelalter kenntlich zu machen, beschreibt der Verfasser sehr eingehend Aufschwünge und Depressionen
in der Landwirtschaft, die Entstehung von Märkten und Städten, den Ausbau von Handelsbeziehungen und
die Verlagerung von Handelswegen, nicht zuletzt auch die Veränderung von Machtverhältnissen zwischen
Kaiser, Königen und adligen Herren. Gegenstand des Buches sind überdies die epochemachenden
Reformbewegungen des mittelalterlichen Mönchtums, desgleichen Auseinandersetzungen zwischen Vertretern
der scholastischen und mystischen Theologie sowie Wandlungen in der Frömmigkeit der Laien.
Eingehend gewürdigt werden außerdem die großen Ketzerbewegungen, die auf ihre Weise das Verlangen
nach religiöser Vertiefung und nach einer armen, herrschaftsfreien Kirche zum Ausdruck brachten.

In der Einrichtung von Klöstern zwischen 980 und 1130 haben Mönche, Herrscher und Adelige ihrem
Heilsbedürfnis Ausdruck verliehen. »Im Europa der Kathedralen« hingegen, so die These des Verfassers,
»löst sich die Macht der Könige allmählich aus der feudalen Erstickung (!), sie gewinnt neue Kraft und setzt
sich durch« (S. 164). Die zwischen 1130 und 1280 entstandenen »Werke der großen, der soliden Kunst«
(S. 332) gingen auf die »Erfindungskraft eines homogenen sozialen Milieus« zurück. »Nach 1280 indes
erweitert sich der gesellschaftliche Kreis, aus dessen Mitte die Schöpfung der großen Kunst hervorgeht,
beträchtlich. Er wird auch beweglicher und damit komplexer. Er zerfällt in verschiedene kulturelle Zonen«
(S. 332). Vornehmlich »waren es die Fürsten, die bei der Durchführung der größten künstlerischen
Programme die Nachfolge der Kirche antraten und an ihren Höfen die Avantgarde der Forschung und der
Schöpfung versammelten« (S. 346). Anders gesagt: »Die Kultur des 14. Jahrhunderts gipfelt in der Gestalt
des Fürsten, des Mannes, der regiert, der Frieden und Gerechtigkeit herrschen läßt. Der profane Teil der
europäischen Kunst, deren wichtigste Schöpfung im Auftrag der Fürsten entstanden, verherrlicht in erster
Linie die Macht« (S. 453).

Solche wohlklingenden, aber sachlich nicht sonderlich informativen Sätze verweisen auf die Grenzen
des Buches. Es hält nicht das, was es verspricht. Querverbindungen zwischen Kunst und Gesellschaft
werden mehr einfühlsam nachempfunden und assoziativ aneinandergereiht als argumentativ erhärtet. Nicht

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