Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1983/0219
Besprechungen

leisten. Er leitet seine Untersuchung daher mit einer präzisen Diskussion der methodischen Probleme dieses
Forschungsstrangs ein und zeigt vor allem, daß in der neueren Forschung sozialer Protest vorschnell in
umfassende Theoriezusammenhänge eingebunden, vorschnell nur noch als Indikator für gesamtgesellschaftliche
Entwicklungen und Problemlagen wahrgenommen wurde. Gegen diese Forschungsrichtung, als
deren Protagonist vor allem Richard Tilly gelten kann, führt Winz die ältere englische Sozialgeschichte
eines E. P. Thompson, G. Rüde und E.J. Hobsbawm ins Feld, deren Stärke in der sorgfältigen Erarbeitung
von Fallstudien liegt, die sich durch eine umfassende Einbettung der untersuchten Fälle in den jeweiligen
historischen Kontext und das sorgfältige Herausarbeiten der Perspektive der Protestierenden, ihrer Sicht
der gesellschaftlichen Realität und ihrer Ziele lag. Winz stellt sich mit seinem Untersuchungsansatz in die
Tradition dieser Prägung von Sozialgeschichte: er plädiert für mikroanalytisch angelegte Fallstudien,
entwickelt in Auseinandersetzung mit Thompson's Konzept des »field of force« seinen Untersuchungsansatz
, der sozialen Protest in gesellschaftliche Spannungsfelder einbettet und ihn durch diese bestimmt sieht,
dem es aber vor allem darauf ankommt, die Innenwelt des sozialen Protests herauszuarbeiten und damit die
handlungsorientierenden Wahrnehmungs- und Deutungsmuster der Beteiligten ernstzunehmen.

Im Hauptteil seiner Arbeit legt der Autor, nachdem er einleitend die gesellschaftlichen Spannungsfelder
des vormärzlichen Baden skizziert hat, aus einem Sample von 101 Fällen 16 Fallstudien vor. Allesamt
sorgfältig recherchiert und sensibel analysiert, reichen sie vom Heidelberger »Judensturm« 1819, der
Pforzheimer »Goldschmiede-Revolution« von 1839, über »Brotcrawalle« und »Hungerunruhen« in
Mannheim und Villingen bis zu den Agrarunruhen im Odenwald 1848, deren Analyse sicherlich das
interpretatorische Glanzstück der Arbeit ist. Allesamt zeigen sich auch eindrucksvoll die Stärke von Winz'
Forschungsansatz: sie zeigen, wie sozialer Protest entsteht, wie er in seinem Verlauf auch durch die
Reaktionen der jeweiligen Gegenseite (lokale Polizei, Militär usw.) geprägt ist und seine konkrete Gestalt
erst im Handlungsdialog der beteiligten Gruppen annimmt. Vor allem aber wird deutlich, wie das
Handlungsrepertoire und die Ziele der Protestierenden bestimmt sind von ihren Vorstellungen von Recht
und Gerechtigkeit, von ihren Vorstellungen von einem »sinnvollen Leben«. Gerade in dieser Analyse der
Innenwelt sozialen Protests hegt die Stärke dieser Arbeit, verwiesen sei nur auf das Kapitel über die
Odenwälder Agrarunruhen, in dem der Autor herausarbeitet, wie die Bauern Schlüsselbegriffe des
politischen Liberalismus ins Materielle übersetzten und diese so in einem ganz anderen als dem propagierten
Sinn in den Aktionen der Bauern handlungsrelevant wurden. Insgesamt wird dabei deutlich, daß der soziale
Protest die Spannungsfelder des vormärzlichen Baden präzise anzeigt, aber auch wie die gesellschaftlichen
und politischen Entwicklungen, ihre Blockierungen und Verwerfungen von den Betroffenen wahrgenommen
wurden und wie sie sich in ihren »Widersetzlichkeiten, Crawallen und Tumulten« mit diesen
auseinandersetzten.

Bleibt zum Schluß noch etwas zu erwähnen, was die Bücher von Historikern leider nur selten
auszeichnet: die Arbeit ist nicht nur lesbar, sondern gut, in Teilen sogar spannend geschrieben. Nicht nur
aus diesem Grunde, sondern auch, weil sie einen überzeugenden Versuch einer »Sozialgeschichte von
unten« darstellt, sind ihr viele Leser zu wünschen, die durch sie bislang vergessene oder zumindest nicht
gewürdigte Aspekte der Geschichte des vormärzlichen Baden kennenlernen werden.

Sigmaringen Eberhard Elbs

Gert Zang (Hrsg.): Provinzialisierung einer Region. Zur Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft in der
Provinz. Regionale Unterentwicklung und liberale Politik in der Stadt und im Kreis Konstanz im
19. Jahrhundert. Frankfurt: Syndikat Autoren und Verlagsgesellschaft 1978. 539 S.

Im Sprachgebrauch gehört »Provinz« zu den Worten mit negativem Unterton, erinnert an das
Ewiggestrige - was immer schon so war. Eine Konstanzer Arbeitsgruppe hat jetzt gezeigt, daß auch
»Provinz« kein ahistorischer Dauerzustand ist, sondern Folge politischer, wirtschaftlicher und sozialer
Prozesse und Auseinandersetzungen. Die Autoren nehmen ihren eigenen Wohn- und Arbeitsort als
Beispiel. Die Konstanzer Region, im Mittelalter Drehscheibe der abendländischen Welt, heute jedoch
allenfalls noch touristisch im Brennpunkt allgemeinen Interesses, bietet sich zum Studium der Provinzialisierung
geradezu an.

Der Band möchte zeigen, daß Provinzialisierung »die Folge der Durchsetzung und Entfaltung der
bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft« (S. 18) gewesen sei. Im Gegensatz zur früheren Stellung von
Randgebieten als in sich abgeschlossenen, mehr oder minder autarken Regionen schließe diese aktuelle
Form von Provinzialisierung eine dauernde Wechselbeziehung zu den Zentren mit ein. Die Autoren

217


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1983/0219