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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1984/0039
Die Junginger Audienzprotokolle von 1600-1625

hatte, auch mit den 70 ererbten Gulden, die Chance zu einem besseren Leben. Sie hatte auch das
Glück, mit Hans Hewis eine der reichsten Verbindungen einzugehen. Aber diese Ehe war, wie
wir gesehen haben, schon ein Jahr später völlig zerrüttet.

Der Fall der Catharina Beckin ist möglicherweise der einzige Fall echter sozialer Dienstleistung
, den ich in diesen Protokollen gefunden habe. Im übrigen ist die Pflege von Gebrechlichen
und Alten nicht so uneigennützig. Wer keine Angehörigen oder Kinder hat, muß sich die
Pflege im Alter erkaufen. 1610 und 1612 ist von der Leibs bledigkeit des Jacob Ehemann der
einen Bruch hat, die Rede. Er und seine Frau haben keine Erben. Weil ihnen aber einer aus
Veringendorf viel Liebes erwiesen, wollen sie ihn zu ihrem Erben machen, und er soll sie
versorgen. Die Herrschaft gibt 1612 dem Antrag statt: Dieweil Jacob Ehemann von Jungingen
ein gar so hailoß Mann, ist vergundt worden, das Stoffel Kes[\]er von Vehringen Dorff In in
pfriend annemen meg. Der Strohschneider Kesler aus Veringendorf ist aber in Jungingen kein
Unbekannter, und die Gemeinde bittet, ihnen den Kesler doch nicht aufzubinden, er habe sich
verdächtig gemacht. Wir haben hier ein System der Altersversorgung angesprochen, das noch
bis in unser Jahrhundert herein angewandt wurde18, und bei dem Fremde oder interessierte
Einheimische die Pflege alter Leute übernahmen, wenn diese noch irgendwie zur Hand gehen
konnten und/oder eine attraktive Erbschaft zu erwarten war. Die Gemeinde war insofern
angesprochen, als sie später die Erbschaftsansprüche des Pflegers zu bereinigen hatte. Das Wort
Pfriend™ für diese Form der Altersversorgung ist sonst nur noch einmal in den Audienzprotokollen
belegt, als es heißt, Bastian Kienzier sei ein Jahr in Bayern in Pfriembd gelegen und dort
gestorben (ebenfalls 1612).

An diesen Fällen wird deutlich, wie wichtig es war, Kinder zu haben, bei denen man sich im
Alter verleibdingen konnte, und für den größeren Teil der Bevölkerung wird sich der
Lebensabend auf dem Hof eines Sohnes abgespielt haben. Für die eigene Wertschätzung und für
die Arbeitsabläufe auf dem Bauernhof oder in der Werkstatt war es dabei aber immer noch
bedeutsam, auch im Alter noch zupacken zu können. Zwar werden Alter und Gebrechlichkeit
gegenüber der Herrschaft ins Feld geführt, um von Diensten und Pflichten befreit zu werden.
So will Martin Christ, der Wirt, am Schießen nicht mehr teilnehmen, weil er zu alt sei (1606),
Hans Ehemann will wegen Leibsungelegenheit die Wirtschaft aufgeben und Hans Deuckerund
Jacob Ehemann bitten altershalber vom Jagen befreit zu werden (1610). Aber auf dem Hof oder
in der Werkstatt der Jungen wird man doch noch zur Hand gehen, wie auch die Heiratskontrakte
zeigen.

Ein durchschnittliches Lebensalter der Bewohner des damaligen Jungingen läßt sich
natürlich aus den Audienzprotokollen nicht ermitteln. Kirchenbücher, die zu jener Zeit zwar
schon geführt wurden, sind im 30jährigen Krieg verloren gegangen. Aber mit Hilfe von anderen
Quellen20 läßt sich für einige Männer eine Lebenszeit von 60 und 70 Jahren erschließen. Von
Marina Diepoltin, Hans Baurs Witwe, heißt es 1602, sie gehe auf die 70 - und sie lebte noch
1607. Trotz dieser potentiell hohen Lebenserwartung ist der plötzliche Tod von Eltern,
Kindern und Lebensgefährten eine vertraute Situation, ich habe die Beispiele erwähnt.
Insgesamt ist anzunehmen, daß der Tod weit weniger als heute mit hohem Alter assoziiert war,
sondern alle Lebensaltergruppen gleichermaßen bedrohte. Die Erfahrung von Hungersnöten
und Epidemien ließen die Menschen dem Tod viel häufiger ins Auge schauen, sein Eingriff
mußte dabei jedoch ein Gefühl von Beliebigkeit und Zufälligkeit vermitteln, demgegenüber der
einzelne völlig hilflos war.

18 Alte Junginger erzählen, daß gebrechliche Leute bis zum 1. Weltkrieg auf diese Weise an Pflegefamilien
vermittelt worden seien; solche Vermittlungen hätten geradezu den Charakter von Versteigerungen gehabt.

19 Es handelt sich um eine besondere Bedeutung des Begriffs »Pfründe«; siehe lexer.Mittelhochdeut-
sches Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 264/65 und Fischer, Schwäbisches Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1079.

20 Z.B. Lehenbriefe aus der Zeit um 1580, in der ein großer Teil der noch um 1620 begegnenden
Familienväter bereits Leheninhaber waren.

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