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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1984/0040
Casimir Bumiller

Manches was uns heute interessieren würde, wird in den Audienzprotokollen nicht
angesprochen. So erfahren wir nichts über den Umgang der Menschen mit dem Tod, über
Schmerz und Trauer, über ihre psychische Verarbeitung und rituelle Umsetzung. Nur ein
äußerliches Faktum sticht ins Auge: in allen Fällen, wo Witwen und Witwer wieder heiraten,
findet diese Verehelichung noch im Todesjahr des ersten Gatten statt. Barth Schuler kündigt
seine zweite Vermählung sogar noch an, bevor er den Hauptfall für die erste Frau bezahlt hat.
Aus dieser Tatsache herleiten zu wollen, die Trauer könne nicht groß gewesen sein, ginge
natürlich an der Sache vorbei. Sie zeigt vielmehr, welche wirtschaftliche Bedeutung die
vollständige Familie gehabt hat. Stirbt ein Ehepartner, dann bedeutet dies neben dem
persönlichen Schmerz für die Hinterbliebenen auch einen wirtschaftlichen Verlust, sowohl was
die Arbeitskraft angeht als auch wegen des abzuführenden Hauptfalls, der nur durch eine rasche
Neuverheiratung ausgeglichen werden kann. Unter diesem ökonomischen Druck verliert dann
das Gebot einer langen Trauerzeit vollkommen sein Gewicht21.

Bei der Aufarbeitung der Sterbefälle fiel mir ein Jahr besonders auf: 1611 starben nicht
weniger als 13 Personen bei sonst durchschnittlich 3-4 Todesfällen im Jahr. Die Todesursache
ist in keinem Fall angegeben, aber eine andere Quelle22 bestätigt unseren Verdacht. Es war die
Pest, die hier nachhaltig in familiäre und wirtschaftliche Verhältnisse eingriff. Sogar der Pfarrer
selbst, Bartholome Fattlin, seit 1594 in Jungingen, fiel in diesem Jahr dem Schwarzen Tod zum
Opfer.

5. Die dörfliche Gesellschaft, der dörfliche Alltag

Die Audienzprotokolle geben leider wenig Auskunft über die äußere Gestalt des Ortsbildes
vor dem 30jährigen Krieg. Wir können dennoch versuchen die Ausdehnung des besiedelten
Raumes zu ermitteln, wenn wir die Kerne ältester Gebäude im heutigen Ortsbild herausfiltern
und am Ortsplan von 1863/6823 sichtbar machen. Die Schwäche dieses Verfahrens liegt darin,
daß ich eine kontinuierliche Bebauung der betreffenden Hofflächen bis ins 17. Jahrhundert
zurück voraussetze. Auf diese Weise würde sich eine Bebauung auf der Bruck (der früheren
Landstraße, schon im 16. Jahrhundert belegt) bis etwa auf die Höhe des Mühlbächle ergeben,
an der Starzel ortsauswärts bis vielleicht zu >Sägerseppels Haus<; die Märzengasse war (wie
schon 1538) sicher, der Kirchrain wahrscheinlich bebaut, ebenso der Bereich unterhalb der
Kirche (Herrengasse) und die ganze Hauptstraße bis auf die Höhe von Schütte und Viehgasse.
Es fehlten also noch, als typische Siedlungen des 19. Jahrhunderts, das ganze Unterdorf, die
Schütte, das Oberdorf, die Viehgasse, Hinter (!) Höfen und der Burren. Bestätigen könnte sich
eine solche Ortsausdehnung, wenn wir die Gebäude nach der Karte von 1863 durchzählen. Wir
kommen auf etwa 70 Gebäudekomplexe, was sich der Familienzahl Jungingens zu Beginn des
17. Jahrhunderts (rd. 80 Familien) sehr gut einfügen würde.

Jungingen bot also den typischen Anblick eines Straßendorfes, das noch zum größeren Teil
von der Starzel begleitet wurde. Die »obere« und damals noch einzige Sägemühle lag also noch
weit außerhalb des Dorfes, auch die Kirche war auf der Anhöhe an den südlichen Rand des Orts
gedrängt, wie auch die St. Anna-Kapelle im Norden, die schon 1500 extra ville, also vor dem
Dorf lag. Ortsmittelpunkt könnte damals schon der Platz um die heutige Linde gewesen sein,
ein zweites Zentrum bildete der Bereich um die Badstube unterhalb der Kirche (Herrengasse).
Sie ist der einzige Gewerbebetrieb außer der Säge, den wir lokalisieren können. Wo die
Schmiede stand und welche Häuser die Gaststuben beherbergten, läßt sich nur vermuten. Die
Wasserversorgung wurde allgemein über Brunnen gesichert. Ein solcher Brunnen stand z. B.

21 Kuczynski (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 241 ff.

22 Vgl. Heimatbuch Jungingen. 1976. S. 134.

23 Abb. im Heimatbuch Jungingen, vor S. 33.

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