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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1984/0045
Die Junginger Audienzprotokolle von 1600-1625

auf der Burg Hohenzollern die sogenannte Generalrebellion aus31. Auch die Junginger Bauern
standen gegen den Grafen unter Waffen. Dies muß man auch im Gedächtnis haben, wenn die
Protokolle immer wieder von der Junginger Schützengesellschaft berichten. Wir wissen z. B.,
daß 1600 Hans Schuler zum Schützenmeister gewählt wurde. Die Schützengesellschaften
stammen aus dem frühen 16. Jahrhundert und waren offensichtlich dazu eingerichtet, die
Wehrfähigkeit der Bürger zu erhalten. Von daher sind diese Gesellschaften nur oberflächlich
betrachtet Vorläuferinnen der heutigen Schützenvereine. Eine Freude scheinen die Junginger an
diesen Pflichtübungen nicht gehabt zu haben32. Immerhin zählte jedoch das alljährliche
Freischießen, das meist mit der Kirchweih zusammenfiel und bei dem dem Sieger eine
Salzscheibe winkte, zu den fröhlicheren Ereignissen des Jahres. Daß sich dieses Instrument zur
Herrschaftserhaltung seit 1600 immer stärker gegen die Herrschaft wendete, mag Grund dafür
sein, daß wir von diesen Gesellschaften nach dem 30jährigen Krieg nichts mehr hören.

Die Dynamik dieser kleinen dörflichen Gesellschaft scheint mir nach allem von zwei
gegenläufigen, sich teilweise aufhebenden Kräften gestaltet zu sein. Da ist zunächst eine
divergierende Bewegung sichtbar, die Spaltung der Bevölkerung in zwei etwa gleich große
Blöcke: in die Gruppe jener, deren Existenz gesichert ist und die die Führungspositionen im
Dorf beansprucht, und die Gruppe jener, deren Existenz nicht gesichert ist und die daher in
soziale Abhängigkeit von der ersteren gerät. Daß diese Spaltung auch quer durch Sippschaften
verläuft, erhöht die sozialen Spannungen und die Aggressivität innerhalb der Dorfbevölkerung.
Zugleich erkennen wir eine konvergierende Bewegung, was die Auseinandersetzung mit
Naturkräften und politischen Herausforderungen angeht. Das Dorf steht zusammen in der
Abwehr von Hungersnot und Todesangst und es steht gemeinsam auf dem Plan, wenn die
Herrschaft Ungebührliches fordert. Dies zeigt - um ein Dokument außerhalb der Audienzprotokolle
zu zitieren - deutlich die Schatzungsliste, die nach der Generalrebellion 1619 für jedes
Dorf angelegt wurde33. Hier werden alle Junginger Bewohner gemeinsam nach ihrem
jeweiligen Vermögen bestraft, aber die Liste zeigt auch gerade sehr eindrücklich die kolossalen
Vermögensunterschiede. Gerade fünf Familien verfügen über mehr als 20 Morgen Land, fünf
weitere über 10-20 Morgen, unter diesen zehn finden wir wieder die uns längst bekannten
Namen herausragender Persönlichkeiten, und der Rest der Bevölkerung hat größten Teils weit
unter 10 Morgen Land als agrarische Lebensgrundlage.

Wir müssen all diese inneren und äußeren Rahmenbedingungen des dörflichen Lebens als
wesentliche Bestandteile der Alltagsgestaltung im Auge behalten, wenn uns die konkrete
Ausformung des täglichen Lebens nicht zur bloßen Idylle geraten soll. Man kann dies an der
dörflichen Geräuschkulisse verdeutlichen. Das Hämmern von der Schmiede, das Klopfen der
Plotzsäge, das Knarren von Wagenrädern, das klingende Konzert, wenn zur Erntezeit abends
in allen Höfen die Sensen gedengelt wurden, vermittelt uns, die wir mit ganz anderen,
streßerzeugenden Geräuschen zu leben haben, ein warmes Gefühl sicherer Geborgenheit. All
diese Geräusche werden auch den damaligen Menschen ein Gefühl der Sicherheit vermittelt
haben, deshalb aber, weil jedes dieser Geräusche mit einer Handlung verbunden war, die das
Uberleben sicherte, mit Arbeit. Andere Laute waren von vorneherein Anzeichen gestörter
Idylle. Daß des früheren Vogts Tochter in der Vesper ein Gelächter angefangen hat (1601), läßt
uns zwar eher schmunzeln, beschäftigte damals jedoch herrschaftliche Beamte. Oder: eines
Tages rennt Jerg Grössers Frau in die Küche ihrer Nachbarin und schlägt scheinbar unmotiviert
auf sie ein, so daß in dem Gezeter die ganze Nachbarschaft zusammenläuft. Und wenn Balthas
Dietsch seinen Stiefvater einmal wieder aus dem Haus wirft, geht das auch nicht ohne
entsprechendes Geschrei ab. Dagegen hört sich dann das Gelächter, das abends aus den

31 Die beste Darstellung dieser Auseinandersetzungen noch immer bei Julius Cramer, Die Grafschaft
Zollern. Ein Bild süddeutscher Volkszustände 1400-1850. Stuttgart 1873. S. 276ff.

32 Maximilian Schaitel, Vom Schützenwesen in der Grafschaft Zollern. In: Zollerheimat 2 u. 3. (1941).

33 StA Sigmaringen Ho l^t6 C II b Nr. 2b.

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