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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1984/0234
Neues Schrifttum

SPD und Gewerkschaften bis 1914 - auch die christliche Gewerkschaftsbewegung, für die gerade Freiburg
ein Zentrum war, wird nicht vergessen - versuchen die Autoren, die relative Schwäche der Freiburger
Arbeiterbewegung (gemessen an der Größe der Stadt) damit zu erklären, daß es hier gelungen sei, die
Arbeiter weitgehend in die Stadtgesellschaft zu integrieren.

Sehr begrüßenswert ist die Überschreitung (heutiger) nationalstaatlicher Grenzen im Exkurs
»Geschichte der Arbeiterbewegung im Elsaß von den Anfängen bis 1914« von Volker Heinzelmann.
Deutlich früher als in Südbaden begann die industrielle Entwicklung des Elsaß. In Mülhausen, bis 1798
Mitglied der Schweizer Eidgenossenschaft, entstand eine protestantische Finanz- und Industriearistokratie,
die die Industrialisierung vorantrieb. Trotz ähnlicher Standortfaktoren (Rohstoffarmut, Randlage, billige
Arbeitskräfte) kam es kaum zu engeren wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Südbaden und dem Elsaß,
die hauptsächlich durch das in beiden Gebieten tätige Schweizer Kapital verklammert waren. Für die
Entstehung der organisierten Arbeiterbewegung im Elsaß war eine große Streikbewegung im Sommer 1870
das Schlüsselereignis. Sie brachte die Loslösung der Arbeiter vom Paternalismus der Unternehmer und den
Aufbau dauerhafter Arbeiterorganisationen. Die Sozialdemokratie, die der Annexion Elsaß-Lothringens
widersprochen hatte, konnte sich bis 1900 weit über die Arbeiterschaft hinaus als >Protestpartei< profilieren
und mehrere Reichstagsabgeordnete stellen. Bei Kriegsausbruch 1914 ging dann allerdings der Riß mitten
durch die Elsässer Sozialdemokratie: Vier der fünf sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten aus dem
Elsaß votierten für die Kriegskredite, der fünfte ging als Kriegsfreiwilliger zur französischen Armee. Die
Mehrheit der Elsässer Sozialdemokraten löste in der Folge die Verbindung zur deutschen Mutterpartei.

Ulrich Kluge befaßt sich in seinem Aufsatz mit der »Sozialdemokratie zwischen Weltkrieg und Inflation
1914 bis 1923«, einer Phase also, die durch die »partielle Zusammenarbeit der großen gesellschaftlichen
Kontrahenten« (S. 80) ihr besonderes Gepräge erhielt. Kluge skizziert eindrücklich die Verschlechterung
der materiellen Lage der Arbeiterschaft im Kriege, wobei die Situation in Freiburg noch vergleichsweise
günstig war. Zur Novemberrevolution läßt Kluge die Quellen sprechen und folgert, einem auch heute noch
in Schulbüchern verbreiteten Fehlurteil widersprechend: »Deutschland stand... niemals vor der Alternative
>Demokratie oder Rätediktatun. Die Einrichtung parlamentarisch-demokratischer Verhältnisse mußte
nicht gegen die Räte erkämpft werden, sie wurde mit Hilfe der Räte erst Realität« (S. 91). Kluge lehnt es
zwar ab, von einem generellen Versagen der SPD-Führung in der Revolution zu reden, kritisiert jedoch u. a.
das Verkennen von Handlungsspielräumen auf militärpolitischem Gebiet. Am Beispiel der Freiburger
Reaktion auf den Kapp-Putsch zeigt er die Spannung innerhalb der Sozialdemokratie zwischen den von der
Parteibasis artikulierten Wiedervereinigungswünschen mit der USPD und der von oben geforderten
Zusammenarbeit mit den Parteien der bürgerlichen Mitte. Die in den Jahren 1921-1923 immer massiver
werdenden Alltagsprobleme (Lebensmittelversorgung, Teuerung, Wohnungsnot) führten schließlich zu
sozialen Protestbewegungen erheblichen Ausmaßes, auch zu Wohnungsbesetzungen kam es 1923 schon.
Diese Seite der badischen Geschichte wird in Uberblicksdarstellungen meist unterschlagen und nur die
politische Stabilität hervorgehoben. Am Ende der Inflation fanden sich SPD und freie Gewerkschaften
organisatorisch am Boden zerstört, die sozialen Errungenschaften der Revolution waren teilweise wieder
abgeschafft, die Politik der SPD trug schon deutliche Spuren von Immobilismus.

In seinem Beitrag »Unruhige Jahre. Der Beginn der Weimarer Republik« schildert Hans-Peter Lux zwei
der von Kluge erwähnten sozialen Protestaktionen ausführlicher. Im Frühjahr 1921 brach in der
südbadischen Textilindustrie ein Streik um Lohnerhöhung aus, Ende April waren ca. 7000 Beschäftigte in
18 Betrieben in Wiesental und in Freiburg und Umgebung im Ausstand. Der Streik endete jedoch nach
beinahe sechs Wochen mit einer Niederlage: Den Arbeitgebern war es gelungen, den freigewerkschaftlichen
und christlichen Textilarbeiterverband auseinanderzudividieren, die Gewerkschaften mußten schließlich
ihre Mitglieder zum Streikabbruch aufrufen. Als am 14. September 1923 2000 Bauarbeiter in Lörrach im
Zeichen der Hyperinflation für eine Verdreifachung ihrer Löhne demonstrierten, entwickelte die Bewegung
innerhalb kurzer Zeit eine ungeheure Dynamik. Unter dem Druck der Massen - 15 000 Menschen
hatten sich in der Innenstadt versammelt - sicherten die Arbeitgeber zunächst eine einmalige >Wirtschafts-
hilfe< von 50 Franken und die Zahlung eines wertbeständigen Lohnes zu. Eine Befreiung von fünf jungen
Kommunisten aus dem Gefängnis durch eine kleinere Gruppe von Demonstranten veranlaßte die
Regierung, die paramilitärische Sicherheits- und Schutzpolizei nach Lörrach zu entsenden. Das Auftreten
dieser Polizeitruppe und der gleichzeitige Widerruf der Zusage der Arbeitgeber führte zu tumultartigen
Zuständen, zu Schießereien mit Toten und Verletzten. Der Generalstreik wurde ausgerufen, ein Aktionsausschuß
aus Textilgewerkschaft, KPD und SPD versuchte, die Bewegung unter Kontrolle zu bringen. Die
Regierung verhängte den Ausnahmezustand über die betroffenen Bezirke, später über ganz Baden. Erst
nach einigen Tagen wurde der Streik beendet und die Schutzpolizei wieder abgezogen. Lux widerspricht

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