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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1984/0237
Besprechungen

zwanziger Jahren freundschaftlich verbunden war, förderte seinen Aufstieg. Anfang 1955 nahm Stephan die
Wahl zum Bundesgeschäftsführer der FDP an, da er damit, wie er schrieb, auf die ihm gemäße politische
Bühne zurückkehren durfte (S. 300). Ende der fünfziger Jahre regte vor allem Theodor Heuss, aber auch
der damalige Bundesvorsitzende der FDP Reinhold Maier, die Gründung einer liberalen Institution für
politische Erwachsenenbildung an. 1958 kam es im Palais des Bundespräsidenten zur Gründung der
Friedrich-Naumann-Stiftung, deren Geschäftsführung Werner Stephan bis 1964, seinem Ausscheiden aus
dem aktiven öffentlichen Leben, innehatte.

Schon dieser kurze Abriß seines Lebenslaufes zeigt, daß Stephan sein Ziel, am Brennpunkt der Politik
die Entscheidung mitzuerleben und die Verantwortlichen kennenzulernen, über viele Jahre hinweg erreicht
hatte; einerseits als selbst politisch Handelnder in den zwanziger und fünfziger Jahren, andererseits als
Pressebeamter und Journalist in den dreißiger und vierziger Jahren. Diese Mischung aus eigener
parteipolitischer Aktivität und kritisch-distanzierter Beobachtung bzw. Beurteilung ergab für das Kaiserreich
und die Weimarer Republik über den reinen Lebensbericht hinaus einige hochinteressante Analysen.

Vor allem die Darstellung der inneren Hohlheit bei vielen Verbindungen vor dem Ersten Weltkrieg, aber
auch das Fehlen von Idealen, für die es sich zu kämpfen lohnte, überzeugt. »Wir hatten kein Ziel, das uns
begeisternd vor Augen stand. Wir wußten nicht, was wir positiv erreichen oder in der Welt propagieren
wollten... So blieben selbst aktivistische Jungakademiker von vornherein defensiv gestimmt, politisch,
geistig, moralisch und auf die Verteidigung beschränkt... Unsere überholte gesellschaftliche Ordnung
vermochte man gewiß keinem fremden Volk als vorbildlich hinzustellen!« (S. 43).

Auch den meisten Urteilen über die Weimarer Republik kann sich der Leser ohne weiteres anschließen.
So betont Stephan immer wieder zu Recht die enge Verbindung zwischen dem Niedergang der republiktragenden
liberalen Mitte, sprich DDP, und dem Ende der Weimarer Demokratie. Die Unfähigkeit der
Linksliberalen, die breite Schicht des sogenannten neuen Mittelstandes, d. h. vor allem die Angestellten und
Beamten, langfristig an sich zu binden, verstärkte deren Anfälligkeit für die NSDAP. Gleichzeitig gelang es
der DDP aber auch nicht, den alten Mittelstand, also in erster Linie die Selbständigen, dauerhaft zu
gewinnen. Diese Gruppen wanderten schon vor Beginn der Weltwirtschaftskrise zu den Interessenparteien
und nach 1930 zu den Nationalsozialisten ab.

Aber schon bei den Kapiteln über die Weimarer Republik hätte man gelegentlich noch gerne etwas mehr
über einzelne Vorgänge gelesen, die Stephan aus nächster Nähe miterlebte, auch wenn er sich schon in
einem früheren Buch mit der Entwicklung der DDP in dieser Zeit beschäftigt hat. Dies gilt in noch
stärkerem Maße für die Passagen über das Dritte Reich und die Nachkriegszeit. Hier fühlt man sich
unwillkürlich an die Aussage der Amerikaner erinnert, die von Stephan 1945 einen Bericht über seine Zeit
im Propagandaministerium verlangt hatten und diese Arbeit folgendermaßen kommentierten: »Sie haben so
objektiv, so ohne Haß und ohne Liebe das Phänomen Goebbels beschrieben, wie das nur ein innerlich
Unbeteiligter so kurz nach dem Ende des Krieges vermag.« (S. 286) Zwar berichtet Stephan von seinen
großen inneren Problemen bei der Übernahme ins Propagandaministerium und von der Psyche und Physis
belastenden Tätigkeit für die Nationalsozialisten, aber weite Passagen machen einen seltsam distanzierten
Eindruck. Beispielsweise erfuhr Stephan im Herbst 1942 bei einem Besuch im »Generalgouvernement
Polen« vom dortigen Pressereferenten, einem überzeugten Nationalsozialisten, von den Massenmorden an
Juden und Polen. Als Goebbels in einer Mitarbeiterkonferenz auf ähnlichlautende Meldungen in der
Auslandspresse hingewiesen wurde, lehnte er jede Äußerung, da nicht zum eigenen Aufgabengebiet
gehörend, ab und verbat sich jeden Hinweis auf derartige Vorgänge. Hier hätte es nun gerade auch
junge Menschen, die das Buch laut Klappentext besonders ansprechen will, sicherlich interessiert, wie
Stephan mit diesem Wissen fertig wurde. Leider beschränkt er sich jedoch auf einen recht allgemein
formulierten Satz. »Mancher mußte für sich allein das Schreckliche wissen und mit sich herumtragen.«
(S. 267)

Insgesamt ist das Buch von Stephan zu sehr von dem Bestreben gekennzeichnet, einen möglichst
objektiven, damit aber auch relativ emotionslosen Rechenschaftsbericht über die acht Jahrzehnte erlebtes
Deutschland abzulegen. Dies ist umso bedauerlicher, als der Autor im persönlichen Gespräch gerade mit
Jüngeren ein ungemein plastisches, eindrucksvolles, dabei aber auch sehr persönliches Bild dieser Jahre zu
zeichnen vermag. Nur teilweise kommt diese Fähigkeit auch im Buch zum Ausdruck, so vor allem in den
Passagen über Theodor Heuss. Der sachlich und kühl abwägende und berichtende Pressebeamte Stephan
dominiert jedoch zu sehr über den Politiker und Menschen Stephan.

Gundelfingen Thomas Schnabel

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