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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0022
Rudolf Gauger

Das vierte Lied

Wiederum ist es ein Lied von makelloser Form. Es besteht aus drei Strophen zu je sieben
Versen. Mit dem Reimschema hat sich's Hug wiederum nicht ganz leicht gemacht: ababccb
— also zwei Stollen und ein Abgesang. Die Verse 2,4 und 7 jeder Strophe haben eine Hebung
(eine betonte Silbe, einen Takt) mehr als die übrigen, nämlich fünf. Auf eine betonte Silbe folgt
im Versinnern immer nur eine unbetonte: es sind alternierende Verse.

Wieder ist es Mai geworden. Aber nun steht es besser um die Aussichten des ritterlichen
Sängers auf die Gunst seiner Dame. Sie kennt ihn nun. Er kann sich vornehmen, ihr seinen
Kummer zu klagen, und hoffen, sie werde diesen Kummer verjagen. Wiederum rühmt er die
Dame seines Herzens in herkömmlichen Wendungen. Ihre Schönheit gleicht der der Rosen und
der Lilien. Sie macht sein Inneres licht wie der Tag die Welt. Sie ist rein und gut. Feines
Benehmen, vornehme Beherrschtheit zeichnen sie aus. Ihre Gegenwart beglückt.

Das fünfte Lied

Diesem längsten Lied Hugs eignet in hohem Maß das, was wir an den andern, das zweite
ausgenommen, vermißten: Originalität. Ist es nicht allzu originell?

Bevor wir uns dieser Frage zuwenden, ein Wort zur Form, in die der Dichter seine
Gedanken und Gefühle goß. Es sind sieben Strophen zu je sieben Versen. Bis auf geringfügige
Abweichungen sind die Strophen gleich gebaut; sie hatten also dieselbe Melodie. Das
Reimschema ist wiederum anspruchsvoll: abab ccc. Es unterstreicht die Gliederung der
Strophe in zwei Stollen und einen Abgesang. Die Zahl der betonten Silben ist verschieden: die
Zeilen 1 und 3 haben vier, die Zeilen 2 und 4 fünf Hebungen. Im Abgesang wächst die Zahl der
Hebungen von Vers zu Vers um eine, von 5 bis 8. Die Gestalt des Liedes spricht also wieder für
das formale Können des Dichters und das Gewicht, das er dieser Seite seiner Lieder beimißt.

Die ersten Strophen des Liedes bewegen sich im Herkömmlichen. Die beiden ersten preisen
den Sommer, der Freude bringt. Freude aber bringt Ehre, denn sie erhöht den Menschen. Doch
des Sängers Freude ist gedämpft, die geliebte Dame versagt sich ihm. Er rühmt sie in der dritten
Strophe, ihre äußeren Vorzüge und ihre inneren, die sie ehren und die Menschen, die um sie
sind, beglücken. Aber dann erfahren wir, daß Schwerwiegendes geschehen ist: sie hat den
Sänger gebeten, sie nicht länger zu besingen! Was tun? Der Sänger droht der von ihm
Besungenen, er werde gerichtlich gegen sie vorgehen, sie auf Gewährung seines Sängerlohnes
verklagen: Beim König; wenn's sein muß, sogar beim Kaiser oder gar beim Papst!

Diese Drohung ist natürlich scherzhaft gemeint. Die Vorstellung einer gerichtlichen Klage
auf Minnesold ist grotesk, und noch grotesker ist die Befürchtung, es könnte dabei zu
Tätlichkeiten kommen!

Doch dieses vorübergehende Abgleiten in den Unernst und ins Groteske erweist sich als
Sprungbrett für einen Aufschwung: zur großartigen letzten Strophe, der Frauenstrophe, in der
die gepriesene Dame - nun ganz ernst, ganz schlicht und würdig - zum »lieben Freund«, zum
Sänger spricht: Dir ist minne besser danne reht. Ich bin des muotes fri.

Das ist gewiß das schönste und auch das persönlichste Wort, das Hug von Werbenwag
hinterlassen hat. Liebe ist nicht einklagbar, sie ist ein frei gewährtes Geschenk. In meinen
Gefühlen bin ich frei. Da kann kein König, kein Kaiser und kein Papst mir etwas vorschreiben.

Ich bin des muotes fri!

Durch unsere Anordnung der drei Minnelieder Hugs von Werbenwag sind wir denen
entgegengekommen, die aus diesen Liedern die Umrisse eines ritterlichen Liebesromanes
herauslesen möchten. Im dritten Lied weiß die Besungene noch gar nichts von ihrem Verehrer
im Schwabenland. Im vierten kann dieser schon daran denken, der vil lieben seinen Kummer zu
klagen. Im fünften läßt sie ihn, den lieben Freund, wissen, daß sie seine Liebe erwidert - im

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