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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0065
Die Juden in Hechingen als religiöse Gemeinde

Hoffnung, daß dieser Antrag mit ungeteilter Freude aufgenommen werden würde. Zu diesem
Ende überreichte ich erHochürstl. Regierungs-Commission und Deputation derisrael. Gemeinde
mein Rabbiner- und Dr.-Diplom und bewarb mich bittend um das erledigte Landrabbinat
von Hohenzollem-Hechingen, meinem Vaterlande, indem ich zugleich die Notwendigkeit der
Wiederbesetzung dieser Stelle sowie die Rechtmäßigkeit meiner Ansprüche auf dieselbe zu
beweisen suchte, daß nämlich nach dem reinen Rechtsbegriffe jeder Unterthan, der über die
erforderlichen Fähigkeiten sich ausweist, in seinem Staate angestellt zu werden verlangen könne.
Ohne aber auf diese meine rechtmäßigen Ansprüche Rücksicht zu nehmen, ohne sich zuerst mit
einem Ausschuße und noch vielweniger mit der ganzen Gemeinde berathen zu haben, wurde
mir nach langer Verzögerung von 3 Mitgliedern der Deputation und einem Deputierten von der
Friedrichstraße endlich zu erkennen gegeben, daß man meiner Bitte nicht entsprochen haben
wolle, aus den Gründen:

I. weil man keinen Rabbiner brauche, indem der im Kaulla'schen Institute angestellte Talmud-
Lehrer Dispeck das Rabbinat verwalten könne und die Hochfürstl. Schul-Commission die
Aufsicht über die Volksschule habe, und

II. weil die Gemeinde schon zu viel Last hätte, als daß sie auch einen Rabbiner besolden könnte.
Diese Gründe wage ich hier in tiefster Unterthanigkeit zu widerlegen, damit Eurer Hochfürstlichen
Durchlaucht richtiges Unheil und edle Liebe zu den Unterthanen mir Recht und Huld
allergnädigst gewähren. - Sine ira et studio!

I. Widerlegung des Grundes, daß man keinen Rabbiner brauche.

a) Ich gebe zu, daß sich die Gemeinde mit gedachtem Privat-Talmud-Lehrer Dispeck
begnügen kann, wenn der Beruf des Rabbiners Mos darin besteht, daß er z. B. einen Hahn
mit gebrochenem Flügel zu essen verbiethe oder erlaube (trefe oder coscher mache)™, oderin
ähnlichen vorkommenden rabbinischen Problemen die Auflösung zu geben habe. Allein, ist
es nicht der heilig große Beruf eines Rabbiners vom 19. Jahrhundert und vom Fürstenthum
Hohenzollem-Hechingen, daß er dem der Zeit entfremdeten Volke durch Predigten Licht
und Wahrheit verkünde? Wird doch in jedem christlichen Tempel alle Sonn- und Feyer-Tage
Moral und Religion gepredigt und durch Catechisationen erläutert! Und die Israeliten
meines Vaterlandes sollen ewig ihren christlichen Mitbrüdern nachstehen, sollen ewig
zurückbleiben hinter ihren Glaubensbrüdern in den übrigen Staaten. Haben nicht Eure
Hochfürstliche Durchlaucht selbst vor 4 Jahren den edlen Wunsch zu äußern geruht, daß eine
israelitische Volksschule organisirt werde, »weil die reine Religion allein den Menschen zum
guten Bürger bilde* ? Und soll demnach nicht auch das Rabbinat in diesem Geiste instituirt
werden f Dispeck aber kann dieser Forderung nicht entsprechen, denn sein Reich ist nicht von
dieser Welt, und man braucht ex ostensis einen Rabbiner.

b) Die Hochfürstl. Schul-Commission kann über die Volksschule, nur inso weit sie Elementarschule
ist, die Aufsicht haben, aber nicht inso weit sie auch Religions-Schule der israelitischen
Jugend ist, da diese Behörde aus christlichen Individuen besteht. Der Rabbiner muß diese
Schule öfter besuchen, muß, was der Jugend vom Lehrer beygebracht wurde, auch nach
Entlassung aus der Schule zu entwickeln und auszubilden und immer zu erhalten sich
bestreben. Dispeck aber besitzt diese Fähigkeit nicht, und man braucht ex dictis einen
Rabbiner.

c) Auch die israelitische Gemeinde muß ein geistliches Oberhaupt haben, welches über ihre
religiös-sittlichen Gesinnungen und Handlungen aufmerksam wache. Nur zu oft und zu
leicht wirft das Volk die Moral mit der positiven Religion von sich, und wahrlich! in unsrer
Gemeinde beginnt die Religion zu sinken und die Moral zu wanken! Das göttliche Wort wird
nicht verkündet, es bleibt ein todter Buchstabe; das heilige Gefühl wird nicht lebendig
dargestellt, es wird allmählich ein leeres Nichts. Dispeck aber ist ein blosser Privatmann, steht

554 Terefa (das »Zerrissene«) bedeutet: aus jüdisch ritueller Sicht nicht zum Genuß zugelassen; Koscher
(jiddisch) bedeutet: aus ritueller Sicht für den Verbrauch zugelassen, vgl. JRS, S. 147ff.

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