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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0159
Die Juden in Hechingen als religiöse Gemeinde

ren wie »Nieder mit den Juden, Raus aus Deutschland, Sie sind Deutschlands Verderb mit ihren
krummen Nasen, Juda verrecke« sowie mit Fanfaren wurde die Veranstaltung der jüdischen
Gemeinde gestört. Dabei wurde auch der Versuch gemacht, in die Synagoge einzudringen. Ich
habe den die Veranstaltung überwachenden Hauptmann der Gendarmerie... durch einen
Boten benachrichtigt, was auf der Straße vorgehe. Die Veranstaltung ist infolge der Störung
frühzeitig abgebrochen worden. Beim Verlassen der Synagoge sind die Mitglieder der israelitischen
Gemeinde durch Zurufe der Jugend belastigt worden. Vor der Wohnung des Vorstehers
der israelitischen Gemeinde, Fabrikant Emil Weil, wiederholten sich die Vorgänge. Als er sich
am Fenster zeigte, wurde ihm zugerufen: »Da ist der Sauhund.« Die Vorgänge haben in der
hiesigen Bevölkerung eine große Erregung ausgelöst, zumal auch die städtischen Polizeibeamten
, die den Straßendienst versahen, mit Ausdrücken wie »Judenschützlinge« belästigt wurden.
Soeben erfahre ich, daß die Betriebsgemeinschaft der Firma J. Levi & Cie., deren Mitinhaber der
schon genannte Vorsteher der israelitischen Gemeinde, Fabrikant Emil Weil, ist, heute früh
zusammengetreten ist und einmütig wegen der Vorfälle des gestrigen Abends protestiert hat.
Man hat von dem Kreisamtsleiter der DAF strengste Untersuchung der Vorfälle und Genugtuung
gegenüber dem Chef, Fabrikant Weil, verlangt. Herr... soll geantwortet haben, daß es so
etwas selbstverständlich nicht gebe. Im übrigen soll er aber beruhigende Erklärungen abgegeben
haben. Ich gebe hiervon Kenntnis und nehme gleichzeitig Bezug auf meinen bereits heute
erstatteten fernmündlichen Bericht. Die Staatspolizeistelle hat eine Abschrift dieses Berichts
erhalten™.

Die Hohenzollerischen Blätter berichten am 8. August 1935 vom Verbot der Stadtverwaltung
Hechingen für Juden, die Städtische Schwimmanstalt zu besuchen:

»Keine Juden mehr in der Städtischen Schwimmanstalt geduldet.

Wie wir erfahren, ist durch die Stadtverwaltung Hechingen Vorsorge getroffen worden, daß die
städtische Badeanstalt nicht mehr von Juden benützt werden kann. Dieser Schritt wird von den
Badefreudigen in Hechingen mit Genugtuung aufgenommen werden, zeugt er doch davon, daß
die Behörden sich mit der Bevölkerung einig wissen in dem Bestreben, das Volk vor einem
notgedrungenen Beisammensein mit Juden und Jüdinnen zu bewahren.«

Am 15. September 1935 wurden auf dem »Reichsparteitag der Ehre« die Nürnberger
Gesetze verkündet. Damit wurden die Juden endgültig aus der Lebensgemeinschaft des
deutschen Volkes ausgestoßen. Die Juden verloren alle bürgerlichen Ehrenrechte. Als deutsche
Staatsbürger wurden sie unter eine Art Fremdenrecht gestellt. Eheschließungen mit »Deutsch-
blütigen« wurden ihnen verboten. Der vorher verschwommen benutzte ominöse Begriff des
»Rassejuden«, den der Nationalsozialismus erfunden hatte, wurde nunmehr exakt definiert:
Jude war jeder, gleichgültig ob er der israelitischen Religionsgemeinschaft angehörte oder nicht,
der vier, mindestens aber drei jüdische Großelternteile hatte. Als Mischlinge L Grades galten
alle Personen, die zwei jüdische Großeltern hatten, als Mischlinge II. Grades solche, die bloß
einen jüdischen Großelternteil hatten1C05.

Seit 1937 verstärkte sich der Druck des nationalsozialistischen Regimes auf die den Juden
verbliebenen Positionen in der Wirtschaft. Es ließ keinen Zweifel daran, daß es sie jetzt auch aus
ihrer letzten Bastion verdrängen wollte, in der sie sich bislang mit Rücksicht auf die wenig
günstige wirtschaftliche Situation des Reiches trotz schleichenden Boykotts noch einigermaßen

1004 Bericht des Landrats in Hechingen an den Regierungspräsidenten in Sigmaringen vom 27. Juni 1935
- I Nr. 8664 - betr. Berichterstattung in polizeilichen Angelegenheiten. Lagerort: StAS Ho 235 I—VIII
Nr. 338.

1005 Vgl. Paul Sauer, Die Schicksale der jüdischen Bürger Baden-Württembergs während der nationalsozialistischen
Verfolgungszeit 1933-1945. Stuttgart 1968, S. 61.

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