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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0167
Die Juden in Hechingen als religiöse Gemeinde

sowie Harry Weil mussten dort ca. vier Wochen aushaltenI022, während der getaufte Jude,
evangelischer Konfession, über 2 Monate schmachten musste und mit verfrorenen Händen und
Füssen heimkam. Verschont blieben Isidor Bernheim, Alfred Loewenthal und ich, sowie unser
langjähriger verehrter Vorstand Emil Weil, den ich beinahe vergessen hätte. Er hat die Synagoge
nicht mehr gesehen, er wollte nicht, er sagte einmal: »Ich hätte den Anblick nicht ertragen
können.* Jan. 16.1943. Ungefähr acht Tage später kamen eines Morgens zwei Schutzleute und
einige städtische Arbeiter ins Gemeindehaus, übergaben ein Schreiben des Bürgermeisters, dass
alle Bücher, Acten etc., alles was Eigentum der jüdischen Gemeinde ist, beschlagnahmt sei, und
ich die Schlüssel auszuliefern habe. Alles, was im Gemeindezimmer und im Schulsaal aufbewahrt
war, wurde auf einen Wagen geladen und in die Städtische Gewerbeschule gebracht,
selbstverständlich auch die 23 Torarollen, der Silberschmuck und die sämtliche kostbaren
Vorhänge (Borochis)]02}. Ich protestierte gegen die Beschlagnahme der Bibliotheksbücher,
welche ja nicht der jüdischen Gemeinde gehörten, aber es half mir nichts. Auch den Kassenschrank
musste ich öffnen, und das Geld, welches ich zählte, sowie alle Bücher und Acten in
demselben wurden beschlagnahmt. Bemerken muß ich, dass die Sparkassenbücher und das
Bargeld am gleichen Nachmittag zurückgegeben wurden. - Etwa vier Wochen später kam ein
Schreiben des Bürgermeisters, dass alles, was von der »Beschlagnahme* in der Gewerbeschule
noch liege, von Gemeindemitgliedern abgeholt werden könne. Von den Gemeindeacten und
Ritualien fehlte nicht das Geringste, nur von der Bibliothek fehlten ca. 100-150 Bücher, meist
von solchen Verfassern, die auf der »Schwarzen Liste* standen, wie Wassermann, Mann etc.

In die Stadt. Volksschule konnte ja schon lange mehr kein jüdisches Kind gehen. Sie waren
eine Zeitlang ohne jeglichen Unterricht. Meine Tochter Hannie ging bis zu dem Tage (27. Juni
1939), als sie mit einem Kindertransport nach London kam, in die jüdische Volksschule nach
Haigerloch, die von Herrn Lehrer Spier geleitet wurde. Die Kinder in Hechingen wurden eine
Zeit lang von mir unterrichtet, bis dann Rabbinatsverweser Schmalzbach, dessen Auswanderung
sich zerschlagen hatte, wieder den Unterricht übernahm.

Die allgemeine Lage der Juden in Hechingen war erträglich. Belästigt wurde man hie und da
von der Hitler-Jugend, während die »Alten* immer noch freundlich waren, soweit sie nicht
Parteimitglieder waren. Gegrüsst durfte natürlich kein Jude werden, aber jeder hatte doch noch
ein paar gute christliche Freunde. Abends 8 Uhr durfte kein Jude mehr die Strasse betreten. Als
der Krieg ausbrach, wurde die Lage der Juden im allgemeinen immer schlechter. Man traf sich
hie und da nur im kleinsten Kreise.

Nach dem Attentat auf Hitler im Hofbräuhauskeller am 10. November 1939? wurden alle
jüdischen Männer verhaftet und ins Landgerichtsgefängnis gelassen. Am Tage darauf wurden
jedoch alle bis auf Leon Schmalzbach und Landgerichtsrat a. D. Dr. Meyer entlassen. Letztere
brachte man ins Gefängnis nach Stuttgart, wo man ihnen nach drei Tagen wieder die Freiheit
schenkte.

Die Verwüstungen im Jüdischen Friedhof nahmen immer mehr zu. Während man bei den
ersten Uberfällen nur die ganz alten Steine umwarf, so ging man später dazu über, die neueren
und neuesten Mazewoth umzuwerfen und vollständig zu demolieren. Nachforschungen blieben
erfolglos; welcher städtische Beamte hätte auch den Mut aufgebracht, die Täter ausfindig zu
machen. Eines Tages wurde auch die Friedhofshalle aufgebrochen und die Inneneinrichtung
vollständig zerstört und zwar nur so, wie Vandalen, die sich »Meisterrasse* [nennen,] hausen
können.

1022 Als Rabbinatsverweser Schmalzbach nach seiner Rückkehr aus der »Schutzhaft« in einem Geschäft in
der Kaufhausstraße Lebensmittel einkaufte (eigene Judenläden gab es in Hechingen nicht), wurde er von der
ahnungslosen Verkäuferin gefragt: »Wo waren Sie denn so lange, Herr Schmalzbach? Waren Sie verreist?«
Daraufhin antwortete der Rabbinatsverweser zynisch und verbittert: »Ja, sicher! Und jeden Morgen hat's
Rührei mit Schinken gegeben!« (Aussage einer Augenzeugin).

1023 Vermutlich wurden diese Kultgegenstände aus der zerstörten Synagoge in das israelitische Gemeindehaus
verlagert.

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