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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0175
Die Juden in Hechingen als religiöse Gemeinde

Die Hauptverhandlung ergab folgenden Sachverhalt: In Hechingen wurde auf Befehl des
SA-Brigadeführers Erich Hagenmayer in Ulm, der seinerseits den allgemeinen Befehl von dem
SA-Oberführer Weiß in Stuttgart erhalten hatte, die Synagoge verwüstet und für gottesdienstliche
Zwecke vollkommen unbrauchbar gemacht. Zum Teil mit Äxten und Beilen bewaffnete SA-
Angehörige schlugen die Tür und die Fenster ein, rissen die Rückwände von den Synagogenbänken
, warfen einen Ofen von der Empore und zerstörten oder beschädigten die gesamte
Inneneinrichtung.

Die Vernehmung der Angeklagten: Standartenführer der SA-Reserve Karl Schuhmacher aus
Reutlingen räumte ein, den Befehl zur Zusammenrottung gegeben zu haben, um die »Synagogen
-Aktion« durchzuführen. Er ließ durch den Sturmführer der SA in Hechingen, Musiol (aus
Schlatt), die Hechinger SA alarmieren und gab den Befehl, in »Räuberzivil« anzutreten.
Zugleich benachrichtigte er einige Angehörige der Reutlinger SA und fuhr mit diesen nach
Hechingen. Seinen Angaben zufolge sei dies nur deshalb geschehen, um den Befehl des
Niederbrennens der Synagoge zu verhindern. In gleichem Sinne habe er mit Musiol am Telefon
gesprochen. - Albert Marion aus Reutlingen, der den von Hagenmeyer erhaltenen Befehl
»Judenaktion« an Schuhmacher weitergegeben hatte, fuhr zusammen mit ihm im Wagen nach
Hechingen, um die Durchführung des Befehles zu überwachen. - Willi Weiß aus Reutlingen
kam mit Schuhmacher nach Hechingen, wo sich auf dem Reichsbahnhofvorplatz bereits zehn
bis zwölf Mann, zum Teil mit Äxten und Beilen bewaffnet, versammelt hatten. Er war dann bei
der Zerstörungstätigkeit in der Synagoge zugegen, hatte von mehreren Bänken die Lehnen
abgerissen und zusammen mit anderen einen Öfen von der Galerie herabgeworfen. Weiß war
der einzige, der seine Beteiligung an der Zerstörung zugab. - Max Musiol hatte als Sturmführer
der SA in Hechingen die Hechinger SA alarmiert, in Zivil antreten lassen und die Aktion
geleitet. - Paul Richter bestritt, sich an der Beschädigung der Synagoge in irgend einer Weise
beteiligt zu haben. Er habe in jener Nacht die Synagoge überhaupt nicht betreten. - Friedrich
Erhart hatte seinen Kraftwagen zur Benachrichtigung der SA-Angehörigen zur Verfügung
gestellt und gefahren sowie Hechinger SA-Angehörige geweckt, damit sie an der Aktion
teilnehmen konnten.

Bei der Gegenüberstellung von Schuhmacher und Musiol kam es zu widersprüchlichen
Aussagen über ihre angebliche Absprache, die Synagoge nicht in Brand zu stecken1042. In
großem Umfang wurde die Schuld auf inzwischen gefallene oder verstorbene SA-Angehörige
abgeladen. Der Berichterstatter schreibt: »Nicht alle Täter standen vor ihren Richtern. Es leben
manche nicht mehr. Andere verstanden es, ihre Schuld geschickt zu tarnen.«

Die Vernehmung von elf Zeugen brachte kein wesentlich anderes Bild der Vorgänge.
Oberstaatsanwalt Egelhaaf beantragte für Schuhmacher 2 Jahre Gefängnis, für Marion 10 Monate
Gefängnis, für Musiol 8 Monate Gefängnis, für Weiß 6 Monate Gefängnis, für Richter
4 Monate Gefängnis, für Erhart 4 Monate Gefängnis.

Plädoyer der Verteidigung: Die Verteidiger hoben in ihren Plädoyers darauf ab, daß die
Angeklagten als Opfer der damaligen Parteipropaganda eine Tat begangen hätten, deren
Tragweite sie sich nicht bewußt gewesen wären und die sie heute ehrlich bereuten. Es sei den
Angeklagten auch zugute zu halten, daß es in Hechingen, entgegen dem ausdrücklichen Befehl,
nicht zum Niederbrennen der Synagoge, sondern nur zu ihrer Demolierung gekommen sei, und
daß alle anderen anbefohlenen Maßnahmen gegen die Hechinger Juden nicht durchgeführt
wurden. Vor allem seien keine Personen tätlich angegriffen und niemand an Leib und Leben
bedroht worden. Darum könne auch das Kontrollratsgesetz Nr. 10 über Verbrechen gegen die
Menschlichkeit hier in keinem Falle Anwendung finden. Nachdem in der Hauptverhandlung
erwiesen worden sei, daß die wirklich Schuldigen, die an der Demolierung tätig mitgewirkt

1042 Carl Hamburger schreibt u.a.: Sicherlich wäre das Gotteshaus in Brand aufgegangen, wenn nicht
Gefahr für die eng angebauten Häuser bestanden hätte. Handschriftliche Niederschrift, 9 Seiten. Lageron:
CAHJP, Inv. NR. 1014/9.

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