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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0183
Die Inschriften der Kaulla-Grabdenkmäler

EINLEITUNG

0.1 Eine halbe Stunde zu Fuß von der Hechinger Oberstadt in nördlicher Richtung entfernt
hegt am unteren westlichen Abhang des ehemaligen Galgenhügels, vom langsam wachsenden
Industriegebiet der Stadt schon fast verdeckt, der aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem
18.Jahrhundert stammende Friedhof1 der einstmals großen und bedeutenden jüdischen
Gemeinde Hechingens. Dieser »Gutort«, der sich von anderen jüdischen Friedhöfen des oberen
Neckarraumes weder durch besonders hohes Alter noch durch künstlerisch besonders wertvolle
Grabsteine abhebt, weist gleichwohl durch die dort vorhandenen Grabmonumente der
Hoffaktorenfamilie Kaulla eine Sehenswürdigkeit sui generis auf. Die Kaulla'schen Grabdenkmäler
fallen in der Tat durch Form, Ornamentik wie auch durch Länge und vor allem Stil der
darauf angebrachten Inschriften ganz und gar aus dem Rahmen dessen, was man zur damaligen
Zeit (Anfang des 19. Jahrhunderts) auf einem jüdischen Gottesacker erwarten durfte2. Diese
auffällige Ausnahme von der bis dahin noch allgemein beachteten Regel, auf dem Friedhof
keinen Aufwand zu treiben, dieser damals noch unjüdische Pomp - sit venia verbi! - lassen sich
nur mit der herausragenden Bedeutung erklären, die vor allem die Geschwister Chaile und
Jakob Kaulla sowohl für die Hechinger Judenschaft als auch für den dortigen Fürstenhof und
den in Stuttgart gehabt haben, wie nicht zuletzt mit ihrem immensen Reichtum3. Ferner mag

1 Zumindest was das Areal anbetrifft, das wir gegenwärtig innerhalb der Einfriedung (Mauer, Zaun)
vorfinden. An einem sonnigen Herbstnachmittag 1983 habe ich sämtliche alte, noch lesbare Steine auf ihr
Datum hin überprüft: es waren keine (mehr) anzutreffen aus der Zeit vor 1761. Eine Überprüfung von GL
ergab, daß eine Reihe von Steinen (19) aus dem Zeitraum 1752-1760 noch im Jahr 1936 vorhanden gewesen
waren. Bei einem Doppelstein (GL 832/33) wird sogar 1748 angegeben; allerdings ist die Lesung unsicher. S.
zur Diskussion zum Alter des Hechinger Judenfriedhofes die vorsichtigen Äußerungen von M. Werner,
Die Juden, S. 163 u. 167-168, sowie vor allem Otto Werner, Wie alt ist der Hechinger Judenfriedhof? Wo
bestattete die Hechinger Judenschaft ihre Toten vor dessen Errichtung? Hechingen 1984. In dieser gut
durchdachten und bedenkenswerten Abhandlung stellt Otto Werner die These zur Diskussion (u. a.),
unser Friedhof sei älter als von Rabbiner Dr. Samuel Mayer vermutet (d.h. vor 1701-1710 angelegt): »Dies
(sc. Formeln aus Schutzbriefen) läßt auf eine Kontinuität des Begräbnisplatzes von der zweiten Hälfte des
17. bis zur Mitte des 18.Jahrhunderts schließen. ... Vor der Umzäunung können deshalb die Gräber

verstreut am Hang gelegen haben____Diese frühen Grabstätten müssen nicht unbedingt in die Umzäunung,

die ja erst im Jahre 1765 erfolgte, miteinbezogen worden sein.«(vorletzte und letzte Seite der unpaginierten,
oben zitierten Broschüre). Es erscheint mir dies durchaus denkbar; zu klären wäre immerhin, wieso die
Judenschaft bei der Einfriedung ihres Gottesackers die ältesten Gräber nicht miteinbezog. Kann die für
diese frühen Grabstätten vermutete Nähe zum 1800 erst entfernten Galgen eine Rolle gespielt haben?

2 »Die Grabsteine des ältesten Teils unseres Friedhofes sind schlicht und meist in Sandstein ausgeführt.
Nur die Grabdenkmäler der weitberühmten Familie Kaulla ragen auffallend hervor und fesseln den Blick
des Besuchers. Sie wirken imponierend im Vergleich zu den anderen niederen und einfachen Grabsteinen
dieses Friedhofteiles, wohl ebenso imponierend, wie dieses vornehme und reiche Geschlecht s. Z. unter den
Juden unserer Gemeinde dagestanden war.« GLXVI. Im weiteren Verlauf des 19. Jhs. wurde der Grundsatz
der Schlichtheit und Gleichheit auf jüdischen Friedhöfen mehr und mehr - auch von normalen
Bürgern - aufgegeben: »Die Vorschrift gleicher Höhe für alleG. (= Grabsteine), die das Nivellieren nach
dem Tode symbolisiert und den alten Friedhöfen den unendlich malerischen Reiz und Stimmungswert
verleiht, ist im 19. Jhdt. vergessen worden. Zu der Verödung dieser neuzeitlichen Friedhöfe, auf denen sich,
namentlich in den Großgemeinden, nur zu oft protzige Geschmacklosigkeiten breit machen, hat nicht zum
wenigsten die Verwendung polierter schwarzer Steine beigetragen, ebenso der geringe Wert, der auf die
künstlerisch bedeutsame Beschriftung gelegt wird.« JL II, 1260 (»GRABSTEINE, JUDISCHE«).

3 »Die bedeutendsten Geschäfte tätigte das Handelshaus Kaulla und Cie. als Heereslieferant in den
napoleonischen Kriegen und als Geldgeber des Stuttgarter Hofes. ... Das Hauptstaatsarchiv Stuttgart
besitzt über die Hoffaktorenfamilie Kaulla ein Quellenmaterial, das beweist, daß das Handelshaus um 1800
zu den süddeutschen Großunternehmen zu rechnen ist, das lange Zeit vor dem Hause Rothschild führend
war und erst nach dem Tode der Madame und ihres Bruders von dem Frankfurter Bankhaus überflügelt
wurde. In jener Zeit gingen die Umsätze des Handlungshauses Kaulla in die Millionen.« Schnee, Madame,
S. 88-89, und ebd. S. 93: »Die bedeutendste Leistung der Geschwister Kaulla ist zweifellos ihre Mitwirkung

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