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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0184
Heinrich Kohring

auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, der christlichen Umwelt zu zeigen, daß man selbst
als Angehöriger einer nicht-gleichberechtigten, verachteten Minderheit4, wenn auch nur in
Ausnahmefällen, höher steigen konnte als ein regierendes Fürstenhaus5.

0.2 Folgende Kaulla-Gräber sind an Ort und Stelle vorhanden: der auf einem treppenartigen
Unterbau6 ruhende, klassizistische Marmorsarkophag der »Madame« (Chaile) Kaulla
(GL 483) mit darauf befindlicher, von einem Trauermantel halb verhüllter Urne sowie rechts
von diesem Scheinsarkophag die hohe, letzteren überragende Buntsandstein-Stele ihres Gatten
Akiba Auerbach (GL 482) und zur Linken des Sarkophages die analog zur ersten Stele
gearbeitete und ornamentierte, gleichhohe Stele ihres Bruders Jakob Kaulla (GL 484). Dieses
wohlproponierte Ensemble wird in seiner Symmetrie nicht unwesentlich dadurch beeinträchtigt
, daß sich links von der Stele des Jakob Kaulla eine weitere kleinere befindet, und zwar die
des Maier Hanau (Jakob) Kaulla (GL 485). Auf der anderen Seite des Weges, der in
Längsrichtung an der erwähnten Monumentalgruppe vorbeiführt, befindet sich auf der Höhe
der Stele des Jakob Kaulla eine Reihe tiefer das mit einem vergleichsweise normalen Stein
markierte Grab seiner Gattin Michle Kaulla (GL 352), die gleichzeitig auch Tochter der
Madame ist7. Zu den Kaulla-Grabdenkmälern gehören strenggenommen auch noch die Steine

bei der Gründung der Württembergischen Hofbank im Jahre 1802, die ... die wichtigste Kreditstütze des
Landes gewesen ist...«

4 Juden mußten damals noch Schutzgeld zahlen, um irgendwo wohnen zu dürfen; sie genossen kein
Bürgerrecht, konnten nach Ablauf ihres Schutzbriefes »ausgeschafft« werden und waren mancherlei
Schikanen unterworfen; vgl. SM 507. In Württemberg durften sie nach der 1498 erfolgten Austreibung noch
nicht wieder offiziell wohnen; s. Tanzer, S. 4, und auch die Geschwister Kaulla konnten sich zunächst nicht
in Stuttgart niederlassen; Schnee, Madame, S. 90, und Tänzer, S. 8-9. Zur rechtlichen Lage der Juden s.
Maren Kuhn-Rehfus, Das Verhältnis von Mehrheit zu Minderheit am Beispiel der Juden in Hohenzol-
lern. In: ZHG14 (1978), S. 18-21, sowie Wilhelm Güde, Die rechtliche Stellung der Juden in den Schriften
deutscher Juristen des 16. und 17. Jahrhunderts. Sigmaringen 1981, S.32 und 74. Güde spricht von einer
faktischen Rechtsunsicherheit, in der sich die Juden befanden (S. 32) und führt aus: »Die Benachteiligung
der Juden liegt wesentlich auf außerrechtlichem Gebiet. Haß, Feindschaft, Furcht und Verachtung führen
dazu, daß die Christen in den Juden ihre Mitmenschen nicht erkennen. ... Das Recht bildet vielmehr den
Damm, der sie vor schrankenloser Willkür bewahrt und ihnen damit wenigstens einen bescheidenen
Lebensraum sichert.« (S. 74).

5 »Uber die Entstehung seines zweibändigen Romans >Gräfin Dolores< schrieb der Dichter Achim von
Arnim seinem Freund Jakob Brentano: >Nein, Du irrst Dich in der Annahme, ich hätte den Stoff auf meiner
Italienreise gefunden. Das ist eine Posse, wozu mir Hechingen Veranlassung gab, wo das jüdische
Handelshaus Kaulla sich in ungeheurem Reichtum erhob, während das Fürstenhaus Hohenzollern
verarmtem...« HChr 1980, S.205. Die Konkretisierung des Kaulla'schen Reichtums in Hechingen selber
belegt Otto Werner, Der Gebäudebesitz der Hechinger Juden im Jahre 1839. In:HH 1 (1984), S. 12: »Den
größten Privatbesitz vereinigten die Mitglieder der Familie Kaulla auf sich. ... Insgesamt stellten die
Gebäude der Kaullaischen Familienmitglieder immerhin einen Versicherungswert von nahezu 30000
Gulden dar; das war mehr als der Gebäude-Versicherungswert aller städtischen Gebäude, die auf rund
26000 Gulden taxiert waren.«

6 Die treppenartigen Sockelsteine bestehen aus einfarbigem Buntsandstein und sind maschinell bearbeitet;
sie sind wahrscheinlich nach 1945 in das während der Nazizeit geschändete Monument eingebaut worden,
lt. brieflicher Mitteilung von Herrn Dr. Adolf Vees, Hechingen, vom 26.6.1983. Herrn Dr. Vees
verdanke ich auch die anderen, im Text erwähnten Präzisierungen bezüglich der bei den Kauila-
Monumenten verwendeten Materialien.

7 Rechts neben dem Stein der Michle Kaulla befindet sich ein gleich hoher, sehr ähnlicher Stein, von dem
man annehmen könnte, auch er markiere ein Kaulla-Grab. Leider ist die Oberfläche dieses Steines - vor
allem in der oberen Hälfte - zu stark verwittert. Man erkennt gerade noch, daß der Vater des/der
Verstorbenen ein -MHsl (= Schlomoh sei. And.) war. In der ersten Zeile steht »Hechingen« in hebräischen
Lettern, darunter ist als Sterbedatum zu erkennen: 26. Nissan (5)587, d.i. der 23.4.1827. Die letzten sechs
Zeilen sind fast vollständig lesbar: »Die Sonne ist von meinem Hause ... gewichen/... wüst und leer um
mich herum/Zu Boden sank der Schmuck meines Hauptes und meines Hauses/Im Staube klebt meine Seele
und mein Herz/Wenn ich nicht ahnte, Dein Antlitz einmal wiederzusehen/Dann verginge ich in meinen

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