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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0193
Die Inschrift der Kaulla-Grabdenkmäler

2.3.1. Gehen wir der Reihe nach vor: Vorübergehender, halt inne bei einem traurigen
Grabmal - die direkte Anrede an den Leser ist mir bei hebräischen Grabinschriften nie zuvor
begegnet; dieses Verfahren erinnert mich an das bei lateinisch abgefaßten, christlichen
Epitaphen der Barockzeit vorkommende »sta, viator«. Doch glaube ich, daß das hier
gebrauchte over (= »Vorübergehender«) gesagt wird in Anlehnung an Thr 1,12 und 2,15, wo
sich die über das zerstörte Jerusalem trauernde Tochter Zion an die ovrej däräkh, an die »auf
dem Wege Vorübergehenden« wendet. Vers 2,15 lautet in deutscher Übersetzung: »Alle, die
vorübergehen, klatschen in die Hände, pfeifen und schütteln den Kopf über die Tochter
Jerusalem: Ist das die Stadt, von der man sagte, sei sei die allerschönste, an der sich alles Land
freut?«26. Der Ausdruck in die Hände klatschen aus dem obigen Vers erscheint in unserer
Inschrift mit demselben hebräischen Verb übrigens in Zeile 4 (recto): beschrieben wird damit
ein im alten Israel gepflegter Trauergestus, wozu ich weiter unten noch etwas sagen werde.

Auch die Wendung stimme Klagelieder... an über (ssa qinot...al) ist gutes biblisches
Hebräisch; unser Ausdruck kommt mehrmals bei dem Propheten Hesekiel vor, z.B.: 19,1;
26,17 und 27,2. Letzterer Vers lautet: »Du Menschenkind, stimm ein Klagelied an überTyrus«
(ssa al-tsor qina).

Die Krone unseres Hauptes, die zu Boden sank ist uns bereits aus dem Epitaph der Madame
Kauila vertraut; es ist dies ein Zitat aus den Klageliedern (Thr 5,16), das sich im Originalkontext
, wie wir schon wissen, auf die Zerstörung des Ersten Tempels und Jerusalems bezieht. Auf
Grabsteinen wird dieses Zitat gerne bei bedeutenden Persönlichkeiten - aber nicht nur da -
gebraucht. In Hechingen finden wir es z.B. noch in der Inschrift des Rabbiners Löb Aach,
dessen leider inzwischen umgestürzter (oder umgelegter?) Stein (GL 459) aus dem Jahre 1820—
freilich nicht mehr zur Gänze lesbar - noch vorhanden ist. Wir treffen es aber auch an auf dem
Stein eines mit 11 Jahren verstorbenen Knaben aus dem Jahre 1854 (Max Bing, GL 146); hier ist
es sicher als Ausdruck des übergroßen Schmerzes der Eltern zu verstehen.

Der Fürst seines Volkes, der Ratgeber von Königen: den kurzen, vorausgeschickten
biographischen Angaben können wir entnehmen, daß dies keine bloßen Redensarten sind. Daß
Jakob als »Fürst seines Volkes« apostrophiert wird, ist sicherlich ein Hinweis darauf, daß er
nicht nur als Wohltäter unter seinen Glaubensbrüdern hervortrat, sondern daß er insbesondere
wie schon sein Vater Rafael vor ihm, der gleichfalls Hechinger Hoffaktor war, und seine
Schwester Chaile mit ihm die Rolle eines Schtadlan27 der örtlichen Judenschaft gespielt hat,
d. h. die Rolle eines Mittlers und Fürsprechers, der die Interessen seiner Leute den Mächtigen
der christlichen Mehrheit gegenüber wirkungsvoll vertrat. Bereits bei Rafael, der 1747 in
Hechingen aufgenommen wurde, ist das gut zu sehen. Auf seine Verwendung, wie es bei
Samuel Mayer heißt, wird der Judenschaft am 19.3.1754 ein Schutzbrief ausgestellt28. Auf
Drängen der Bürgerschaft sollen die Juden zwar laut Dekret vom 4.6.1752 die ehemalige
fürstliche Kaserne eine halbe Stunde Weges vor der Stadt beziehen29, jedoch dürfen die

26 Deutsche, in Anführungszeichen gesetzte Bibelzitate stammen, sofern nichts anderes angegeben ist,
aus der von der Württembergischen Bibelanstalt in Stuttgart besorgten, revidierten Lutherbibel in der
Ausgabe von 1977.

27 S. zu diesem Begriff JL IV/2,195-196 (»SCHETADLAN«) und EJJ 5:1008 (»COURTJEWS«), sowie
ebd. 14:1462-1463 (»SHTADLAN«).

28 SM 506.

29 »Demnach... gleichbalden nach Antritt Unserer Fürstlichen Landes Regirung bey Unß selbsten von
Unserer Residenz Stadt Hechingen gegen die allhier wohnende Judenschafft offtmahlige Beschwerden
eingebracht und derselben Außschaffung widerhohlter unterthänigst nachgesuchet worden,...«. S. Kuhn-
Rehfus (wie Anm.4), S.39.

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