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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0194
Heinrich Kohring

Hausbesitzer und die Hofjuden, darunter Rafael30, in der Oberstadt verbleiben, zehn Familien
insgesamt, damit der zur Abhaltung des Gottesdienstes notwendige Minjan (Quorum von zehn
gesetzesfähigen Männern) erhalten bleibt31. Im Jahre 1775 gibt es schon ganze 37 jüdische
Familien in der Oberstadt32. Auf Chailes Antrag hin darf 1765 der jüdische Friedhof mit einem
Bretterzaun eingefaßt werden33, eine in jüdischen Augen besonders verdienstvolle Tat, da die
Einfriedung eines Gottesackers halachisch (d.h. religionsgesetzlich) geboten ist34. 1800
schließlich kann auf Jakobs Veranlassung der Friedhof gar mit einer Steinmauer umfriedet
werden, der Galgen wird aus dessen Nähe entfernt, und eine Schlafstätte für durchziehende
Juden darf bei der Stadt errichtet werden35! Der sichtbarste Ausdruck dieser Schtadlanut der
Geschwister Kaulla dürfte jedoch in der 1803 erfolgten Gründung eines Beth-Midraschlb zu
erkennen sein; dieses Lehr- und Bethaus wurde in der oberstädtischen »Münz« eingerichtet, die
Vater Rafael bereits 1759 käuflich erworben hatte37. Zum Schluß sei noch darauf hingewiesen,
daß Jakob Kaulla im Jahre 1798 die Ausstellung eines erst ab 1800 datierten, auf sage und
schreibe 40Jahre gültigen, wie es heißt, milden Schutzbriefes veranlassen kann. Und bis zu
diesem Zeitpunkt (1800) ist die Zahl der Juden in der Stadt auf 79 Haushalte angestiegen,
obschon in besagtem Schutzbrief wieder die alte Forderung erhoben worden war, die Juden
sollen mit Ausnahme der Hausbesitzer in die Friedrichstraße vor der Stadt übersiedeln38.
Worauf kann dieses Anwachsen und die Blüte der Hechinger Judenschaft beruhen, wenn nicht
in erster Linie auf dem Wirken ihrer einflußreichen und mächtigen Schtadlanim Rafael, Chaile
und Jakob Kaulla39?

Die Phrase hier hat ein Grab ausgehauen erweist sich schon allein dadurch als pures Zitat,
daß man wohl kaum annehmen darf, Jakob Kaulla habe sein Grab selbst gegraben - dazu war die

30 In diesem in der vorangehenden Fn erwähnten Dekret heißt es weiter, daß alle Juden in die
Friedrichstraße ziehen sollen mit Ausnahme der »Hoff und Schutz Juden Wassermann, Raphael und Meyer
Levi«. Bei diesem Raphael dürfte es sich um Madame Kaullas Vater gehandelt haben. S. Kuhn-Rehfus, ebd.

31 HChr 1980, S. 160.

32 Ebd., S. 172.

33 SM 507 und M. Werner, Die Juden, S. 168.

34 Ernst Roth, Zur Halachah des jüdischen Friedhofes. In: UDIM. Zeitschrift der Rabbinerkonferenz in
Deutschland IV (5734 = 1973/74), S. 103-104.

35 SM 508.

36 Ein Beth-Midrasch (Lehrhaus) ist eine Synthese aus Talmudschule und Synagoge, aber nicht, wie man
mitunter liest, Ausbildungsstätte für Rabbiner - das wäre eine Jeschiwe. Man könnte so sagen: ein Beth-
Midrasch ist eine Institution, in der man in erster Linie Talmud lernt und auch betet, während man in einer
Synagoge nur betet. Dementsprechend wird das Lehrhaus für wertvoller erachtet als die Synagoge, da das
Lernen im Judentum einen ungemein hohen Stellenwert hat. Schon im Talmud heißt es: »Derjenige, der aus
einer Synagoge kommt, um sich ins Lehrhaus zu begeben und Tora (= Lehre) zu lernen, verdient, daß die
göttliche Gegenwart auf ihm ruht.« (bBer 64a; mündl. Mitteilung von Dr. Hüttenmeister), und auch:
»Rav Papi sagte im Namen von Rav: Es ist gestattet, aus einer Synagoge ein Lehrhaus zu machen, aber es ist
verboten, aus einem Lehrhaus eine Synagoge zu machen.« (bMeg 26b/27a; zitiert nach Gil Hüttenmeister
: Bejt ha-knesset u-wejt ha-midrasch we-ha-siqqa bejnejhäm. In: Qatedra. Le-toldot äräz Jissrael we-
jischuvahl8 (1981), S. 39. Dieser Grundsatz von der höheren Bedeutung des Lehrhauses und seiner
größeren Heiligkeit wird im Schulchan Aruch wiederholt; s. Sch. Ar. Toi. I, §29,1 (S. 142). Auch für das
Hechinger Lehrhaus ist diese Synthese aus Lernen und Beten (sprich: Gottesdienst) durch folgenden Passus
aus einem bei M.Werner, Die Juden, S. 152, abgedruckten Beleg schön bezeugt: »Die Stifter kauften ein
besonderes Gebäude, ... in welchem sie ... eine Synagoge mit den Gesetzesrollen zur Abhaltung des
Gottesdienstes einrichteten und mit den erforderlichen Lehrbüchern versehen ließen" (meine Hervorhebung
).

37 HChr 1980, S. 164.

38 Ebd., S. 198 und 195.

39 S. dazu Sauer, S. 92: »Sie (sc. Chaile Kaulla) und ihr Bruder verstanden es auch, den Fürsten für die
israelitische Gemeinde günstig zu stimmen.«

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