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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0195
Die Inschriften der Kaulla-Grabdenkmäler

Hechinger Chewra Kaddischa*0 da! - geschweige denn, er habe es »ausgehauen«, wie dies im
alten Israel die Vornehmen für sich im Felsgestein veranlaßten; so tat es z.B. Schebna, der
Hofmeister des Königs, in Jes 22,16, woher unser Zitat stammt.

Ach, man hat sein Licht ausgelöscht: ganz wörtlich heißt es im Original »sie haben
ausgelöscht«. So - in der 3.Pluralis - kann man hebräisch durchaus von Gott reden.
Möglicherweise sollte aber statt KBW der Inschrift (kavu/kibbu; beide in der aktiven
Bedeutung »auslöschen« belegt) KBH stehen (kavah), und das heißt ganz einfach »ist
verloschen, ausgegangen«.)

Untergegangen ist seine Sonne mitten am Himmel - wenn das nicht rein subjektiv gemeint
ist - der Tod eines geliebten Menschen tritt für die Hinterbliebenen immer zu früh ein -, könnte
es als Hinweis auf einen auch chronologisch zu früh eingetretenen Tod des Jakob Kauila gelten.
Nach Ausweis von EJJ41 ist er ca. 1750 geboren worden; er war bei seinem Tod also erst etwa
60 Jahre alt. Die Metapher von der am hellen Tage untergegangenen Sonne stammt übrigens aus
der Bibel. In Jer 15,9 lesen wir die Klage: »Die sieben Kinder hatte, welkte dahin, und ihre Seele
verschmachtete in ihr. Ihre Sonne ging unter am hellen Tag; ihr Ruhm und ihre Freude hatten
ein Ende. ...« (meine Hervorhebung)42.

Sein Herz - ein verständiges Herz: das hier verwendete hebräische Adjektiv für »verständig«
ist maskil. Wenn man bedenkt, daß Maskil als Substantiv gebraucht der Fachausdruck ist für
einen Anhänger der Haskala, der jüdischen Aufklärungsbewegung (18./19.Jh.), die der
Assimilation der westeuropäischen Juden an die christlich-bürgerliche Umwelt den Weg
bahnte, könnte man in der Verwendung gerade dieses Terminus einen diskreten Hinweis darauf
sehen, daß Jakob Kaulla ungeachtet aller an ihm so sehr gerühmten jüdischen Tugenden ein
Befürworter der Haskala war, daß er dafür eintrat, das Judesein auf den rein religiösen Bereich
zu beschränken. Diese Deutung mag auf den ersten Blick als etwas gewagt erscheinen.
Immerhin ist sie bei den überaus engen Kontakten des Verstorbenen mit der christlichen
Oberschicht nicht unwahrscheinlich. Hofjuden sind ja im übrigen gerade wegen ihrer
assimilatorischen Neigungen bekannt gewesen43. Akzeptiert man letztere Interpretation, kann
man - grammatikalisch völlig korrekt - auch so übersetzen: Sein Herz (war) das Herz eines
Maskil.

Seine Sabbate erwarben Gnade und Wohlgefallen - natürlich bei Gott, weil er, Jakob, sie so
vorbildlich einhielt. »Gnade und Wohlgefallen erwerben« ist eine in Prov8,35; 12,2 und 18,22
vorkommende biblische Ausducksweise; vgl. Prov8,35: »Wer mich findet (sc. die Weisheit),
der findet das Leben und erlangt Wohlgefallen vom HERRN« (meine Hervorhebung). Die
Jakob hier bescheinigte vorbildliche Sabbatehrung ist in jüdischen Augen kein kleines Lob. Zur
Illustration der hohen Bedeutung, die dem Sabbat im Judentum zukommt, möchte ich zwei
bezeichnende Stellen anführen:

40 Chewra Kaddischa ist aramäisch und bedeutet »Heiliger Verein«. Hinter diesem generischen Terminus
verbirgt sich die in jeder größeren Gemeinde vorhandene Beerdigungsgesellschaft. Tote zu begraben gilt im
Judentum als hohes Gebot, dessen Ausübung als Nachfolge Gottes verstanden wird, da Gott selber den
Moses »im Tal, im Lande Moab« begrub (Dt 34,6). Diese Begründung wird im Talmud expressis verbis
gegeben (bSota 14a). Zur Hechinger Chewra Kaddischa s. SM 570-572 und darüber hinausführend Otto
Werner, Jüdische Bruderschaften und Vereine in Hechingen. In: HH 1 (1982), S. 11-15, und 2(1982),
S. 20-22, insbesondere S. 11-12.

41 10: 846 (»KAULLA«).

42 Der Konsonantentext der hebräischen Bibel hat für »ging unter« die weibliche Form B?H; die
Masoreten (d. h. die Grammatiker, die den Konsonantentext vokalisiert haben) haben hier so punktiert, daß
die maskuline Form (Qere: ha') zu lesen ist und nicht die weibliche (Ketiv: ba'ah). Auf unserer Stele
erscheint gleich die maskuline Verbform im Konsonantismus: B?.

43 EJJ 5: 1008 (»COURT JEWS«).

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