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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0197
Die Inschriften der Kaulla-Grabdenkmäler

steht: >Siehe, Erellim schreien draußen, Engel des Friedens weinen bitter< (meine Ubersetzung
)47.

Wir sehen also, daß bereits die antiken jüdischen Kommentatoren die Erellim bemühten,
um die Trauer der höheren Sphären über den vermeintlich bevorstehenden Tod des Erzvaters
Isaak zu symbolisieren. Oder im Morgengebet der beiden Tage des Neujahrsfestes (Rosch ha-
Schana) heißt es in einem poetischen Einschub (Piut) in die erste Benediktion vor dem Sch'ma
Jissrael, dem Glaubensbekenntnis: »Achte auf die mit Gebet Nahenden ob dessen, den
bitterlich die Erelim (sie!) des Königs beweinten« - gemeint ist, wie wir uns nun denken
können, Isaak, bei dessen »Opferung« (hebr. aqeda = Bindung) die Erellim, die noch nicht
wußten, wie die Sache ausgehen sollte, über den vermeintlich bevorstehenden Verlust bitter
wehklagten. Die midraschische Vorstellung hat also Eingang gefunden in das Festtagsgebet,
was ein Indiz für ihren hohen Bekanntheitsgrad ist. Ferner gibt es eine Selicha (= Bußgebet) des
Paitan (= Synagogendichters) Binjamin ben Avraham aus Rom (13. Jh.), die mit unserem Jesaja-
Vers anhebt und in welcher Glaubensverfolgungen beklagt werden48. Es ist also nunmehr
klargeworden, daß, wenn in unserer Inschrift Erellim über Jakob Kaullas Tod weinen, damit
symbolisiert werden soll, daß das jüdische Volk durch dessen Tod von einem herben Verlust
betroffen ist. Daß sie, die Erellim, sich andererseits auch wiederum freuen, ist so zu verstehen:
zwar ist das jüdische Volk durch den Tod des Fürsprechers ärmer geworden (»jene weinen
weiterhin«), und das ist auch für die Erellim Grund genug zur Trauer, aber sie selbst sind
natürlich durch die Gesellschaft des Gerechten, der von nun an in ihrer Mitte weilen wird,
bereichert, und das ist für sie Grund genug zur Freude. Ja, auch dies, daß der Verstorbene ein
»Gerechter« (= zaddiq) gewesen sei, wird zu verstehen gegeben, denn in der jüdischen
Angelologie sind die Erellim dazu ausersehen, sich der »Zaddiqim« im Garten Eden anzunehmen49
. Überhaupt ist es eine alte jüdische Vorstellung, daß sich Engel einem Guten »entgegen
freuen«. So heißt es in einem sehr poetischen Friedhofsgebet der portugiesischen Juden in
Amsterdam beispielsweise:

Die Tore des Himmels mögest du (sc. der Verstorbene) geöffnet finden; die Friedensstadt
(= das himmlische Jerusalem), auch sichere Wohnstätten (lt. der Verheißung aus Jes 32,18)
und die Engel des Friedens, die sich dir entgegen freuen, mögest du schauen, und möge der
Hohe Priester bereit stehen, dich zu empfangen... (meine Ubersetzung und Kommentierung
)50.

Bemerkenswert ist des weiteren der Aufbau des Gedichtes, und das ist unsere Inschrift in der
Tat: der Verfasser lehnt sich an die Darstellung der im alten Israel üblichen Trauerbräuche an, so
wie sich diese aus dem Mischna-Traktat Moed Qatan (M MQ III, 6-9 = bMQ 26-28) rekonstruieren
lassen: zunächst Klagelieder, danach In-die-Hände-Schlagen als weiteres Zeichen der
Trauer und schließlich Lohpreis des Verstorbenen51. Der Leser wird die einzelnen Stufen des
Trauerzeremoniells unschwer in unserem Epitaph wiedererkennen. Das alles spricht dafür, daß

47 BerR 56,5 zitiert nach Ssefer Midrasch rabba, [, Jerusalem 5735 (= 1974/75), S.227, sowie Halewi
(Hrsg.): Bereschit rabba .., Tel Aviv 1957, S.430.

48 Zu Binjamin ben Avraham s. Leopold Zunz, Literaturgeschichte der synagogalen Poesie, Hildesheim
1966, S. 352-354. Die Gebetbuchstelle kann man nachlesen hebräisch und deutsch in Wolf Heidenheim
(Hrsg.), Machasor le-jom rischon schäl rosch ha-schanah/Gebetbuch für das Neujahrsfest, Basel 1970,
S.40.

49 Nachzulesen in der Midraschübersetzung von August Wünsche, Aus Israels Lehrhallen. III. Kleine
Midraschim zur jüdischen Eschatologie und Apokalyptik. 1. VII. Die Mauern und Hallen von Gan 'Eden
und seine Bewohner, Hildesheim 1967, S.53.

50 Dr. Israel Ricardo (Hrsg.), Tefillat kol päh.. ./Gebeden der Portugees-Israelieten met Nederlandse
vertaling.., Amsterdam 1950, S.224.

51 Samuel Krauss, Talmudische Archäologie, II, Hildesheim 1966, S. 64-68 (»Totenklage«).

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