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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0198
Heinrich Kohring

der Verfasser der vorliegenden Inschrift ein im jüdischen Schrifttum gut bewanderter Mensch
gewesen sein dürfte, und ich möchte mich der von Samuel Mayer ausgesprochenen Ansicht
anschließen, daß als Autor dieser Inschrift und jener der Madame Kauila der seinerzeit
wohlbekannte Ben Seew in Frage komme52. Als weiteres Indiz hierfür ließe sich ins Feld führen,
daß der in den beiden ersten Inschriften (Madame und Jakob Kauila) verwendete Wortschatz
(fast) ausnahmslos biblisch ist. Ben Seew war einer der Anführer der bereits erwähnten Haskala-
Bewegung, die auch bestrebt war, sich beim Hebräisch-Schreiben biblischen Wortschatzes und
biblischer Syntax zu bedienen, soweit dies möglich ist - unter Ausschluß des talmudischen und
des darauf fußenden rabbinischen Hebräisch, das die Maskilim für ein verderbtes, unkultiviertes
Idiom hielten53.

2.3.2. Die Deutung der rückwärtigen Inschrift wirft keine Probleme auf. Die Jakob Kauila
in der zweiten Zeile verliehenen Titel »Fürst«, »Edler« sind natürlich nicht wörtlich zu nehmen,
sondern sollen, wie oben schon betont wurde, zeigen, welche Wertschätzung dem Verewigten
entgegengebracht wurde; dieses Verfahren findet man normalerweise auf Grabsteinen reicher,
einflußreicher Juden. Allerdings wird nicht jedes reiche und einflußreiche Gemeindemitglied als
Fürst und Edler (sar we-nagid) bezeichnet, denn diese Titulatur stellt eigentlich das höchste zu
vergebende Lob dar, mit dem in Hechingen nur Jakob Kauila und Maier Hanau bedacht worden
sind. Eine zwar sehr bedeutende, aber nicht ganz so bedeutsame, jedoch reiche und wichtige
Persönlichkeit konnte immer noch mit den Epitheta qazin we-aluf gewürdigt werden. Das ist,
wie wir der Aufschrift auf einem Hechinger Parochet (Tora-Vorhang) entnehmen können, der
Fall bei dem Kaulla'schen Geschäftsführer und späteren kaiserlich-königlichen Hoffaktor Aron
Liebmann54. Unter der Nr. 897 ist in GL übrigens noch ein Aluf we-qazin namens Jizchaq bar
Menachem (verstorben 1768) aufgeführt. Einer, der »bloß« Gemeindevorsteher war, nannte
sichparnass u-manhig, auf Inschriften für gewöhnlich PWM abgekürzt - so z.B. bei (GL 544)
einem Meir bar Elieser, Vorsteher von der Friedrichstraße, der höchstwahrscheinlich Samuel
Mayers Großvater war (gest. am Tage des Esther-Fastens, also am Tag vor Purim, 1801).
Anzumerken wäre noch, daß die Titulatur sar we-nagid, die wir bei Jakob Kaulla vorfinden, bei
Juden im arabischen Sprachraum die Standardbezeichnung für Schtadlanim gewesen ist (s. EJJ
unter NAGID).

52 SM 508, Fn. 8. Nicht anschließen möchte ich mich der dort ausgesprochenen Wertung, daß die
Inschriften Jakobs und der Madame »etwas zu künstlich und überladen« sein sollen »wie gewöhnlich die
hebräischen Grabinschriften zu schwülstig sind«. In meinen Augen sind sie eher kunstvoll und in
Anbetracht der tatsächlichen Verdienste der Verstorbenen recht sachlich gehalten. Auch meine ich, daß
hebräische Grabinschriften bis hin zum Beginn des 19. Jhs. betont unprätentiös und informativ abgefaßt
waren. Schwülstig, wenn ich so sagen darf, wirken freilich die Inschriften von Maier Hanau und Michle
Kaulla.

53 EJJ 4:573-574 (»JUDAH LEIB BEN ZE'EV«) und JL1,834 (»JUDA LÖB BEN SE'EW«). InJL wird
Ben Seew als einer der Hauptvertreter der Haskala bezeichnet; er gilt als der erste moderne jüdische
Grammatiker und Lexikograph. Er wurde 1764 in Krakau geboren und starb 1811 in Wien. In jüdischen
Kreisen war er darüber hinaus sehr populär wegen seines zweibändigen »Beit ha-Sefer« (Wien 1802), einer
Art Anthologie des Hebräischen mit den ersten Kindergedichten in hebräischer Sprache; s. dazu EJJ 5:
43CM31 (»CHILDREN'S LITERATURE«).

54 Ein Foto dieses Parochet stellt mir freundlicherweise Herr Otto Werner zur Verfügung. Das Original
befindet sich in HHBH, R. 14. Abgebildet ist der Parochet in M.Werner, Die Juden, S. 197 und 198,
Nr. 34, sowie auf Tafel IV; O. Werner erwähnt ihn in Schmalzbach, ZHG 16 (1980), S. 143. Der Grabstein
des Aron Liebmann (GL 350) - er ist bei SM 524 erwähnt - befindet sich, wie gesagt, nicht mehr an Ort und
Stelle, wohl aber der seiner Gattin Hendel; es ist der bereits in meiner Fn 7 erwähnte Stein (GL 351) rechts
vom Grabmal der Michle Kaulla (GL 352). Daß die Liebmanns in unmittelbarer Nähe der Kaullas begraben
sind, ist sicher kein Zufall. Von dem erwähnten Ehrentitel, der jiddisch »Kotzn« gesprochen wird, kommt
übrigens unser »großkotzig«! In Israel ist qazin heute »Offizier«, und aluf bedeutet »General«.

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