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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0199
Die Inschriften der Kaulla-Grabdenkmäler

Gottesfürchtig von Jugend auf: diese eigentlich gar nicht stereotyp wirkende Ausdrucksweise
- inhaltlich trifft sie sicher auf den Verstorbenen zu - dürfte dem Satz: »Und doch fürchtet
dein Knecht den Herrn von seiner Jugend auf« aus 1 R18,12 nachgebildet sein. In dem
betreffenden Vers spricht so Obadja, der Hofmeister König Ahabs, zum Propheten Elias. Auf
hebräischen Epitaphen erfreut sich die Qualifikation »gottesfürchtig von Jugend auf« einer
recht großen Beliebtheit.

Das Lob strebend nach Wohltätigkeit und Barmherzigkeit (hebr. rodef zedaqa wä-chässäd)
stammt verbatim aus Prov 21,21. Der Leser, der diesen Vers in der modernen Luther-Bibel
nachschlagt, findet dort die Ubersetzung: »Wer der Gerechtigkeit und Güte nachjagt, der findet
Leben und Ehre.« Was bei Luther mit Gerechtigkeit wiedergegeben ist, heißt im Hebräischen
zedaqa und kann natürlich auch »Gerechtigkeit« bedeuten. Tatsache ist jedoch, daß Juden unter
zedaqa seit der talmudischen Epoche fast ausschließlich »Almosen, Wohltätigkeit durch
Geldspenden« verstehen55. Die in der Synagoge aufgestellte Spendenbüchse für die Armen
heißt auf Jiddisch (bei Ost juden) bezeichnenderweise »Zedoke-Puschke«. Auf einem Rexinger
Grabstein finden wir eine solche Zedoke-Puschke als Hinweis auf die Spendefreudigkeit des
Verblichenen abgebildet. Es unterliegt keinem Zweifel, daß mit dem Wort zedaqa unserer
Inschrift auf die auch sonst bezeugte, mit »breiter Hand« gewährte Armenunterstützung Jakob
Kaullas verwiesen werden soll56. Der andere hier verwendete Terminus »Barmherzigkeit«
(hebr. chässäd, bei Luther Güte) ist gleichfalls als »Erweisung von Wohltaten« zu verstehen;
freilich meint man mit chässäd eine höhere Form des Wohltuns als mit zedaqa, da chässäd nicht
vorgeschrieben ist, sondern freiwillig und auch nicht in Form von Geld, sondern durch
persönliche Hinwendung zum Mitmenschen erfolgen soll (Tröstung Trauernder, Krankenbesuch
, Totenbestattung usw.), oder wenn schon finanziell, dann durch Gewähren zinsfreier
Darlehen. Dazu wird im Talmud unmißverständlich ausgeführt:

Rabbi Elasar sagte: Das Erweisen von Barmherzigkeit (=gemilut chassadim) ist größer als
Wohltätigkeit (= zedaqa), denn so steht geschrieben: >Säet Gerechtigkeit (= zedaqa) und
erntet nach dem Maß der Liebe!< (= chässäd; Hos 10,12 in der Übersetzung Luthers). Wenn
einer sät, ist es zweifelhaft, ob er essen wird oder nicht; der, der erntet, wird gewiß essen....
Unsere Lehrer erläuterten: durch drei Dinge ist Barmherzigkeit größer als Wohltätigkeit
- Wohltätigkeit gibt einer von seinem Geld, Barmherzigkeit sowohl durch seinen Leib (d. h.
durch persönliche Zuwendung) als auch von seinem Geld; Wohltätigkeit ist für die Armen,
Barmherzigkeit sowohl für die Armen als auch für die Reichen; Wohltätigkeit ist für die
Lebenden, Barmherzigkeit für die Lebenden wie auch für die Toten (meine Übersetzung)57'.

Das Wohl eines Volkes suchend - mit diesen Worten bedenkt der Verfasser des Esther-
Buches den Mordechai, den Onkel der Königin Esther (Est 10,3), der zusammen mit ihr die
Juden des Perserreiches vor der Vernichtung rettete. Auch das kann als weiterer Hinweis auf die
oben besprochene »Schtadlanut« des Verstobenen verstanden werden. Man sieht, der Autor
unseres Epitaphs geizt nicht mit Lob.

Ein Oberhaupt der Familie Kaulla: das hört sich seltsam an wie ein Übersetzungsfehler, aber
so steht es im Original sinngemäß wirklich da. Und tatsächlich war ja nicht Jakob das
Oberhaupt der Kaullas, sondern seine Schwester Chaile (vgl. Fn 3).

Der Lehrer der Weisung, unser Meister, Meister Jakob (hebr. moreh hora'ah rabbenu rabbi
ja'aqov ; abgekürzt - so auf unserer Inschrift - MHWRR allerdings ohne Abkürzungszeichen).
Das, so möchte man denken, ist wohl nichts weiter als ein »eloge flatteur«, aber dem ist

55 S. dazu die sehr schöne und ausführliche Darstellung in EJJ 5: 338-353 (»CHARITY«) und in JLIV/2,
1475-1479 (»WOHLTÄTIGKEIT«).

56 SM 507, Fn. 7.

57 bSuk49b.

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