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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0211
Die Inschriften der Kaulla-Grabdenkmäler

Ubersetzung des Textes auf einem jüdischen Grabstein kommt eher die Bedeutung »Klarheit«
in Betracht, denn so wird zachzacbot von späteren jüdischen Übersetzern häufig verstanden75.
Zur Unterstützung meiner Interpretation verweise ich außerdem auf die talmudische Vorstellung
, daß die Gerechten sich im Garten Eden am »Glänze« Gottes erquicken. Ich zitiere in
extenso nach bBerl7a:

(Nicht wie diese Welt ist die zukünftige Welt). In der zukünftigen Welt gibt es kein Essen
und kein Trinken, keine Fruchtbarkeit und keine Vermehrung, keinen Handel und Wandel,
keine Eifersucht und keinen Haß, auch keinen Streit, sondern die Gerechten sitzen da mit
Kronen auf dem Haupt und ergötzen sich am Glanz der göttlichen Einwohnung... (meine
Übersetzung).

Der Umstand, daß im vorstehenden Talmud-Text für »Glanz« nicht unser zachzacbot,
sondern das Wort siw gebraucht wird, tut, glaube ich, meiner Deutung keinen Abbruch. In der
Kabbala, der aus dem Mittelalter stammenden jüdischen Mystik, spielen die zachzacbot
überdies eine wichtige Rolle: es sind die überklaren oder durchsichtigen Lichter, die die
Wurzeln der Sefirot-Welt bilden76.

Seine Gerechtigkeit wandelte vor ihm her, die Herrlichkeit Gottes möge (~wird) ihn (nun)
aufnehmen: diese Zeile stammt - leicht abgewandelt - aus demselben Jesaja-Kapitel wie der
gerade besprochene Halbvers. Der ganze Vers, der jetzt behandelt werden soll, lautet in der
revidierten Luther-Fassung: »Dann (d.h. wenn du soziale Gerechtigkeit üben wirst) wird dein
Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und
deine Gerechtigkeit wird vor die hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug
beschließen.« (Jes. 58,8). Auch hier möchte ich in einem Punkt anders als Luther übersetzen.
Das abweichend wiedergegebene Verb assaf bedeutet nach Ausweis der Wörterbücher77 auch
»den Zug beschließen« (agmen claudere), gegen die Luther-Übersetzung ist also nichts
einzuwenden, aber auch hier taucht das alte Problem auf, daß die nachbiblische, rabbinische
Interpretation sich nicht immer mit der christlichen Exegese deckt. Hier, wo es sich um einen
jüdischen Grabstein handelt, hielt ich es für angezeigt, bei der »hebraica veritas« zu bleiben.
Auch inhaltliche Gründe legen meine Deutung nahe: gerade weil der Verstorbene gerecht war
(»seine Gerechtigkeit wandelte vor ihm her«), wird ihn Gott in das Paradies aufnehmen, wird
ihn erquicken, und so erntet er den Lohn seiner auf Erden vollbrachten guten Taten.

Die Namensgebung des hier Begrabenen wirft einige Probleme auf: in lateinischen
Buchstaben lesen wir vorne unter dem hebräischen Text Maier Hanau Jakob Kaulla, der
hebräische Text nennt ihn jedoch Me'ir ben Rafael. Übereinstimmung herrscht leider nur beim
Vornamen: Me'ir = Maier! Der Vater heißt also nach dem hebräischen Text Rafael, nach dem
deutschen Jakob. Wenn, wie Heinrich Schnee behauptet78, Maier Hanau wirklich ein Sohn der
Madame war, so müßte es im deutschen Text doch heißen Maier Hanau Akiba Kaulla und im
hebräischen Me'ir ben Aqiva. Möglicherweise hat derjenige, der den Namen - vermutlich
nachträglich - in lateinischen Buchstaben angebracht hat, sich an der fehlerhaften Namensgebung
auf Akibas Stein orientiert, der, wie wir weiter oben (S. 195) erfuhren, im deutschen Text

75 So wird z.B. in KSA II, 741 (= § 128,13) übersetzt.

76 S. Gershom Scholem: Ursprung und Anfänge der Kabbala. Berlin 1962, S. 308-12.

77 Gesenius zum Stichwort »assaf«. S. ferner Wolf Heidenheim, Machasor le-jom kippur/Gebetbuch
für den Versöhnungstag. Basel 1970, S. 158: »Fürwahr, dem Hungrigen brich dein Brot, bedrängte Arme
nimm in deinem Hause auf, wenn du einen Nackten siehst, so bedecke ihn, und dem, der deines Fleisches ist,
entziehe dich nicht. Dann wird wie der Morgen dein Licht anbrechen und deine Heilung rasch aufspriessen,
deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen und die Herrlichkeit des Ewigen wird dich aufnehmen« (meine
Hervorhebung).

78 Schnee, Hoffinanz, S. 170, der ihn »Mayer Raphael Kaulla« nennt!

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