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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0215
Die Inschriften der Kaulla-Grabdenkmäler

5.2.2. Ubersetzung der Rückseite:

Hier hat ein Grab ausgehauen
Ein tüchtiges Weib - reinen Herzens und verständig (war sie).
Sie heiligte all ihre Tage dem Herrn, damit sie heilig
Seien. Die Züchtige, die Hochgelobte,

Die Ratgeberin, die Herrin Michle, Tochter des ehrenwerten Meisters
Akiba Auerbach, seligen Angedenkens, die Gattin

Des Verblichenen, des Lehrers der Weisung, unseres Meisters, des Meisters Jakob Kauila,
Das Andenken an den Gerechten sei zum Segen. Sie ging ein zu ihrer Ruhe am 17. Adar
Und wurde beigesetzt am 18. desselben (im) Jahre
582 nach kleiner Zählung.

5.3.1. Das Gedicht der Vorderseite mit dem Reimschema aabbccdd (weiblicher Versschluß
mit Ausnahme der letzten beiden Zeilen) - die Rückseite ist, wie zu erwarten, ohne Reim - ist
von allen bisher besprochenen das konventionellste; sein Verfasser malt in übertrieben kräftigen
Farben. Inhaltlich ist wenig anzumerken, gerade weil diese Inschrift am wenigsten »jüdisch« ist.
Ähnlichen Gefühlsüberschwang findet man ebenfalls auf gleichzeitigen deutschen Grabsteinen,
so z.B. auf dem alten Hoppenlaufriedhof in Stuttgart.

Auf Michles Epitaph finden wir eine Idee wieder, die uns schon in der Inschrift ihrer Mutter
begegnet ist: über den Tod einer Wohltäterin und edlen Frau weinen zwei »Parteien«: die
Bedürftigen, deren Unterstützung nunmehr ausbleibt, und die Familie, die einen geliebten
Menschen verloren hat. Auch die Mahnung, man solle sich der Trauer nicht zu sehr hingeben,
sondern der Verstorbenen gedenken (»ihm/ihr ein ehrenvolles Andenken bewahren«, wie es
noch heute in Trauerreden vielfach heißt), ebenso die Vorstellung, die Entschlafene werde die
Früchte ihrer guten Taten im Jenseits genießen - all dies ist ja auch im Christentum bekannt.

Die Herrlichkeit Gottes hat sie aufgenommen: diese Ausdrucksweise ist uns aus der Inschrift
des Maier Hanau (Vorderseite) bekannt und bereits ausführlich besprochen worden (S.203).

Die Aue von Gerechten ist sicher der Metapher aus Jer 31,2282 und 50,7 entlehnt
(»Wohnung der Gerechtigkeit« und »die rechte Weide« = n'weh zädäq).

Sprachlich auffällig sind die Formen »bächi« (Zeile 7) = »Gewein« und »tächi« (Zeile 9)
= »sie möge leben«. Es handelt sich hierbei um sog. Pausa-Formen, d. h. starkbetonte Formen,
die sicherlich nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern nur deshalb gesetzt wurden, um einer
wichtigen Forderung der Haskala-Poesie Genüge zu tun, nämlich im Endreim nur solche
Wörter zu dulden, die auch nach sefardischer Aussprache auf der vorletzten Silbe betont sind.
Die normalen Formen sind hier »b'chi« und »t'chi«, und das sind ja endbetonte Wörter. Um
sicherzustellen, daß der Leser die betreffenden Wörter auch ja auf der Pänultima betont, sind sie
in der Inschrift sogar vokalisiert! Ferner sind die Wörter »ma'alah« (ihr Wirken), »assafäh« (hat
sie [= Akkusativ] aufgenommen) sowie »goraläh« (ihr Los) vokalisiert - wahrscheinlich
deshalb, weil das unvokalisierte ? SPH auch »ass'fa« gelesen werden kann, und das würde dann
bedeuten: »sie [= Subjekt] hat aufgenommen«! Die Reimwörter dazu »ma'aläh« und »goraläh«
hat man vermutlich aus Analogie gleich mitvokalisiert.

5.3.2. Auch auf der Rückseite stellen wir nicht viel Schwieriges fest. Die Wendung hier hat
ein Grab ausgehauen kennen wir bereits von Jakob Kaullas Inschrift (S. 186).

Der Ausdruck ein tüchtiges Weib (= eschät chäjil) ist das »epitheton ornans« der emsigen
Hausfrau par excellence und stammt aus Prov 31,10. Der Abschnitt Prov 31,10-31 wird in
orthodoxen Familien vom Hausvater am Freitagabend vor dem Sabbatmahl, nachdem er mit

82 In der Lutherbibel ist dies Vers 23; so auch übrigens in BHK und BHS, nicht aber in der von mir ständig
benutzten »Letteris«-Bibel!

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