Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0227
Die Inschriften der Kaulla-Grabdenkmäler

die Schreibung nur mit Waw finden, so bedeutet dies natürlich nicht, daß man *Kolla zu
sprechen habe, denn die deutschen Juden sprachen das Waw in hebräischen Wörtern als -au-; sie
sprachen also Wörter wie torä, Mosche aus als täuro, Mansche (daher mauscheln, eigentlich
reden wie ein Mausche, ein Jude, den man nicht so ohne weiteres versteht). Hechinger
Heimatforscher kennen, ohne sich wahrscheinlich dessen bewußt zu sein, diese Aussprachegewohnheit
: so wird in der Hechinger Chronik unter dem Jahr 1880 berichtet, der verantwortliche
Redakteur der Purim-Zeitung sei ein Narr Dr. Schaute gewesen. Schaute ist nichts anderes
als das hebräische schote = »Narr, Trottel«84. So ist in beiden Fällen -au- zu lesen; das eine Mal
handelt es sich um die in hebräischen Wörtern übliche Schreibung, das andere Mal um die in
nicht-hebräischen (jiddischen usw.) gebräuchliche.

Die Angabe des Sterbedatums macht bei dieser letzten Inschrift ein wenig Kummer. Dem

17. Adar (5)582 entspricht Sonntag, der 10. März 1822. Nun lesen wir seltsamerweise auf der
Vorderseite gleich obenan: gest. d. 22. März 1822; so auch GL, wo die Angabe sicher wieder
unkontrolliert vom Stein übernommen worden ist. Heinrich Schnee und die Hechinger
Chronik halten noch ein drittes Datum bereit: den 28. Oktober 182 1 85! Welches der drei
zutrifft, kann ich natürlich nicht entscheiden, bin aber geneigt, dem zuerst genannten
hebräischen den Vorzug zu geben. Sollte man etwa in der eigenen Gemeinde das Sterbedatum
eines Mitglieds nicht gekannt haben?

Zum Abschluß ein kleines Detail, das dem Leser sicherlich nicht entgangen ist: es ist auch
das Datum der Beerdigung angegeben. Dies ist jedoch damals und noch früher ganz und gar
üblich gewesen, so daß man sich eher wundern darf, diese Angabe bei den übrigen Kaulla-
Inschriften nicht zu finden! Und noch eines: die Beisetzung hat genau einen Tag nach dem
Verscheiden stattgefunden. Unter Juden war das bis zur Emanzipation, d.h. bis zu ihrer
Anerkennung als Vollbürger, gang und gäbe. Man ließ, wenn kein Sabbat oder Festtag
dazwischen kam, den Toten nur über Nacht liegen. So war dies übrigens auch bei Madame
Kauila gehandhabt worden, die, wie bei Samuel Mayer nachzulesen ist, am Tage nach ihrem
Tode beigesetzt wurde86. Nahegelegt wird das ferner durch die bereits erwähnte Traueranzeige
(S. 180), die folgendermaßen beginnt: »Hechingen, den 19. März 1809. Gestern starb hier die im
südlichen Deutschland allgemein bekannte Mad. Kaula (sie!) im 70sten Jahr ihres thätigen
Lebens.« Der betreffende Text dürfte wohl am Tag der Beisetzung bereits vorgelegen haben.
Auf mittelalterlichen Steinen liest man sogar: gestorben und begraben an ein- und demselben
Tage. Ja, selbst in Hechingen ist mir das noch begegnet bei einer Rebekka, Frau des Benjamin
(GL472), in deren Inschrift es heißt: ».../Frau Rifqa, Gattin des Binjamin, verstarb/Am
27. Adar 580 n. kl. Z. und wurde begraben./...«. Das war im Jahr 1820! Das schnelle Beerdigen
läßt sich mit der Herkunft der Juden aus einem Land mit sehr heißem Klima erklären.

Andererseits war es um 1800 schon seit langem üblich, den Buchstaben Alef, der im Hebräischen keinen
Lautwert mehr hat, im Jiddischen ganz konsequent zur Wiedergabe des Vokals a zu gebrauchen. Man
versteht also, daß eine Graphie wie QWJL? - mit Schluß-j4/e/- leicht auch als »Kauila« gelesen werden
konnte. Hinzu kommt, daß »Kaulla« vornehmer, exotischer und gar spanisch klingt (die spanischen Juden
galten den Aschkenasen als großes Vorbild) im Gegensatz zu dem banalen »Kaul«, das auch so fatal an
»Kaulquappe«, »Kaulbarsch« erinnert (das Kaul- der genannten Wörter geht genau wie das jidd. kaul auf
mhd. küle = »Kugel« zurück!). Zu Alef am Wortende s. Jechiel Bin-Nun, ebd., S. 28 und 129.

84 HChr 1980, S. 302.

85 Schnee, Hoffinanz, S. 172, und HChr 1980, S. 212.

86 SM 539, Fn 24: »Es liegt mir eine in Stuttgart gedruckte Leichenrede vor, die er (sc. Rabbiner Seligmann
Gottschalk vom Kaulla'schen Lehrhaus und nachmaliger Konsistorialrabbiner Goudcheaux in Kolmar) bei
der Beerdigung Kaulla's am 19. März 1809, zwar nicht im rhetorischen Style, aber doch in deutscher Sprache
gehalten, und die zu jener Zeit wegen der Seltenheit Aufsehen erregt hat.« Madame Kaulla war ja am

18. März, also einen Tag zuvor, dahingegangen. Interessant ist außerdem an den Ausführungen Samuel
Mayers, daß die Beherrschung des Deutschen bei Westjuden zu Beginn des letzten Jahrhunderts noch nicht
allgemein durchgedrungen war: die deutschen Landjuden sprachen also noch (west)jiddisch.

209


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0227