Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0228
Heinrich Kohring

Das Geburtsdatum wird auf Steinen aus der hier behandelten Zeit in aller Regel nicht
angegeben; erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beginnt sich das in Anlehnung an das
christliche Vorbild durchzusetzen.

SCHLUSSBETRACHTUNG

6.1. Zusammenfassend können wir sagen, daß die hier besprochenen Inschriften insgesamt
einen gewissen äußerlichen Parallelismus aufweisen: auf der Vorderseite unserer Grabdenkmäler
finden wir jeweils eine Eulogie auf den bzw. die Verstorbene in Gedichtform; dieser Eulogie
kann man unter Abzug aller in solchen Fällen üblichen Beschönigungen eine ganze Reihe
biographischer Details entnehmen. So ist der Hinweis auf die vom Verstorbenen ausgeübte
Mildtätigkeit auf jüdischen Steinen normalerweise keine leere Floskel, im Gegenteil, daß die
Armen seines Stammes insbesondere seinen Tod beklagen, ist ein Indiz dafür, daß der
Betrauerte als überaus vermögender Mensch in überdurchschnittlichem Maße karitativ tätig
gewesen ist. Daß die Angehörigen wiederum »der Krone ihres Hauptes« beraubt sind, ist in der
Regel ein Verweis auf die hohe soziale Stellung des Verstorbenen und die große Hochachtung,
der er sich ganz allgemein erfreute. Daß jemand den Ruhm seines Volkes und den seines
Schöpfers mehrte, mag so verstanden werden, daß er sich um das Wohl seines Volkes große
Verdienste erwarb und in religiöser Hinsicht ein vorbildliches Leben führte. Wir erfahren z.B.
auch, daß Akiba Auerbach eine weitere Hechinger Synagoge erbauen lassen wollte, daß er sein
Leben dem Studium der jüdischen Lehre widmete, wir lesen, daß seine Gemahlin Chaile bei den
Großen ihrer Zeit in hohem Ansehen stand, und nehmen schließlich zur Kenntnis, daß Jakob
Kaulla an Fürstenhöfen wohlgelitten war (»der Ratgeber von Königen«).

Auch die äußere Form der vorderseitigen Inschriften ist kennzeichnend: alle Gedichte sind
nach den Prinzipien der Haskala-Dichtung aufgebaut; sie haben vorwiegend weiblichen
Endreim und weisen ein abwechslungsreiches Reimschema auf. Darüber hinaus sind sie
interpungiert, wobei vor allem die Verwendung von Kommata auffällig ist. Das alles ist bei
hebräischen Epitaphen der damaligen Zeit vollkommen unüblich und läßt den Rückschluß zu,
daß die dergestalt geehrten Toten einen ganz besonderen Rang unter ihren Glaubensgenossen
- und nicht nur unter ihnen - bekleidet haben. Die aus dem Rahmen fallende äußere Form der
Inschriften sowie die prunkvolle Beschaffenheit der Monumente selber sollen, so meine ich, den
Anspruch erheben, daß die hier Beigesetzten es mit den Mächtigen der christlichen Umwelt
durchaus aufnehmen können.

Die auf der Rückseite unserer Monumente befindlichen Inschriften geben uns engere
biographische Daten an die Hand. Wir erfahren den Namen des Verstorbenen, den seines
Vaters, bei Michle zusätzlich den des Gatten, was bei Chaile Kaulla jedoch unterblieben ist, wie
überhaupt ihre auch auf der Rückseite gereimte Inschrift eine Sonderstellung einnimmt. Wir
werden über die Titel des Verstorbenen aufgeklärt und erfahren, wann er gestorben ist. Diese
Angaben sind mit Ausnahme des Madam'schen Epitaphs nicht gereimt und wirken allein
dadurch nüchterner, faktischer, was ja ihrem Inhalt auch besser entspricht. Es sei hier
nachgetragen, daß man auch eine gewisse historische Entwicklung dabei feststellen kann: die
Epitaphe sind alle rein hebräisch abgefaßt, und dementsprechend erscheinen auch die Namen in
der rein hebräischen Form (z. B.Jakob ben Rafael) mit Ausnahme der jüngsten Inschrift (Michle
Kaulla von 1822), wo die Namen ihres Vaters und ihres Gatten bereits in der »bürgerlichen«
Form angegeben werden: Akiba Auerbach (und nicht: Akiba ben David Sch'lomo) sowie Jakob
Kaulla (und nicht: Jakob ben Rafael). Insgesamt weichen unsere Inschriften auch von der
allgemeinen Regel dadurch ab, daß die rituelle Formel PN (=po niqbar »hier ist begraben«)
bzw. PT (=po tamun »hier ist geborgen«) nicht durchgehend ganz am Anfang auf der
Vorderseite gebraucht wird: nur zweimal kommt PT vor (Madame und Akiba), und selbst das
abschließende Tanäzba der Rückseite wird nicht konsequent verwendet: es fehlt merkwürdi-

210


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0228