Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0236
Frowald Hüttenmeister / Heinrich Kohring

beschreiben, noch ein Wort zu deren zeitlicher Einordnung und ihrer »Lagerung« ausgerechnet
unter den Brettern des Dachbodens! Die Synagoge in der Goldschmiedstraße, die um das Jahr
1775 erbaut worden sein soll3, aber sicher älter ist4, wurde in den Jahren 1850 bis 1852 renoviert,
umgebaut und erweitert, und bei dieser Umgestaltung des Gotteshauses ist gewiß auch der
Dachboden »geräumt« worden. Wahrscheinlich hat man die unter dem Dach lagernden Reste
ritueller Gegenstände und Bücher anschließend begraben, jedoch sind bei der »Entrümpelungs-
aktion« eine Reihe von losen Blättern, halben Buchblöcken und Gegenständen auf den Brettern
des Dachbodens liegengeblieben, und diese vergessenen Fragmente haben Bauarbeiter damals
einfach unter die Dachbodenbretter verschwinden lassen (s. Foto Nr. 1). Dieser Interpretation
schloß sich Herr Diplom-Ingenieur Wolf Schwab, der die gegenwärtige Renovierung leitende
Architekt, vorbehaltlos an5. Als Zeitrahmen für die »Einlagerung« unserer Hechinger Funde
haben wir wohl 1767/68 (»terminus post quem«) und 1850 (»terminus ante quem«) anzusetzen,
was natürlich nicht bedeutet, daß sich nicht auch vor 1767/68 erschienene Druckwerke
nachweisen ließen, was im übrigen tatsächlich der Fall war. Nach 1852 wurde der Dachboden
nicht mehr als Genisa benutzt.

OBJEKTE (RITUELLE UND PROFANE)

1. Zuerst möchten wir die in unserer Genisa aufgefundenen rituellen Gegenstände sowie die
nicht-rituellen Objekte, die sich ebenfalls unter dem gesichteten Material befanden, besprechen.
Der Erhaltungszustand vor allem der Druckwerke war ein denkbar schlechter. Vogelkot,
Mäusedreck, Insektenfraß, Schimmel, Bauschutt und Staub haben im Laufe der Zeit dem

3 In HChr 1980 heißt es unter 1775 (S. 172): »Das Stadtgericht klagte über die starke Zunahme der Juden,
die in diesem Jahr um einen hohen Preis einen Schutzbrief auf 25 Jahre erkauften. Daraufhin erbauten sie in
der Goldschmiedstraße, (damals Judengasse), eine Synagoge.« Bei SM 507 wird etwas weniger apodiktisch
gesagt: »Um diese Zeit (sc. 1775) wurde auch die hiesige Synagoge erbaut in der Goldschmidtstraße (sie!),
die zur Judengasse erhoben wurde.«

4 Bei M. Werner, Die Juden, S. 137, wird ausgeführt: »Wahrscheinlich wurde die Judenschuol (sc. die
Synagoge, welche die Judenschaft in dem von Jos Niklas 1546 erkauften Haus einrichtete) durch eine neue
Synagoge in der Goldschmiedstraße abgelöst, deren Entstehungszeit wir jedoch noch nicht bestimmen
können.« Diese »Judenschuol« soll auf demselben Platz gestanden haben wie die heutige Synagoge (ebd.
S. 140). So auch O. Werner im »Schwarzwälder Boten« vom 3.1.1985: »Als >Synagoge< können wir sie (sc.
die heutige Oberstadt-Synagoge) bis zum Jahre 1745 zurückverfolgen, als >Schul< ist sie sicher bis zum Jahre
1742 belegt. ...Möglicherweise stand aber bereits das von Graf Josnikiaus II. für 50 Pfund Heller zur
Errichtung einer >Judenschule< (Synagoge) im Jahre 1546 gekaufte Haus am selben Platz, womit eine fast
450jährige Tradition gegeben wäre.« Und weiter: »Von einer Bautätigkeit an der Synagoge erfahren wir
erstmals aus dem Jahre 1764, als Fürst Joseph Wilhelm den Hausbesitzern und den Hofjuden, die in der
Kernstadt wohnen bleiben durften, erlaubte, ihr >Schuell< in Hechingen zu reparieren.« Das beim
Landesdenkmalamt in Auftrag gegebene dendrochronologische Gutachten widerspricht den archivalischen
Befunden nicht: Die sechs Holzproben ergaben, daß die Balken für das Fachwerk der Synagoge aus dem
Jahr 1766/67 stammen. Lt. Otto Werner wurde Holz damals in dieser Gegend ein Jahr nach dem Schlagen
verbaut; somit müssen wir annehmen, daß der Fachwerkrahmen 1767/68 gezimmert wurde. Das bedeutet,
daß die Judenschaft, die 1764 die Erlaubnis zur Reparatur ihrer »Schuell« erhielt, den alten, wohl wackelig
gewordenen Vorgängerbau mehr oder weniger gründlich abriß und 1767/68 einen »Neubau« an derselben
Stelle auf den alten Fundamenten aufführte.

5 Herr Schwab teilte uns in einem Telefongespräch am 29.12.1983 mit, daß unser Material nicht »flächig
eingebracht« gewesen sei. Der Dachboden sei überhaupt nicht isoliert worden, die Decke sei so gut wie leer
gewesen, und eine »Logik« bei der Einlagerung unserer Fundsachen habe man in keinster Weise erkennen
können, sie sei wohl zufällig geschehen. Wir betonen dies insbesondere deswegen, weil der Einwand
aufgetaucht war, es habe in Hechingen keine Genisa gegeben, sondern das gefundene Material sei beim
Umbau der Synagoge (1850/52) lediglich als Isoliermaterial benutzt worden. Ein solches Vorgehen ist
jüdischerseits natürlich ganz und gar undenkbar!

218


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0236