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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0256
Frowald Hüttenmeister / Heinrich Kohring

am Sabbat-Gottesdienst äußerst praktisch, da er alles, was er braucht, in einem Buch
beieinander hat; diese Büchlein nennt man »Chumasch«. Ungewöhnlicher ist ein Blatt mit den
ersten drei Psalmen auf hebräisch mit hebräischer, griechischer und lateinischer Uberschrift und
lateinischem Kurzkommentar am Rand (s. Foto Nr. 11). Diese Ausgabe ist eindeutig von
christlichen Theologen erstellt worden. In der Tübinger Universitätsbibliothek konnten wir ein
vollständiges Exemplar davon in Augenschein nehmen; der Titel lautet: »Biblia Hebraica
recensuit et direxit opus D. IO. HENRICUS MAIUS, theologus Giessensis«, und gedruckt
wurde die Bibel in Frankfurt am Main im Jahre 1716 bei Johann Philipp Andreae! Wie kommt
eine Bibel mit lateinischem, dazu noch christologischem Randkommentar in eine Genisa?
Zuvor sei angemerkt, daß wir auch in Freudental Blätter aus solchen christlichen »Bibliis
Hebraicis« aufstöberten! Wahrscheinlich wurden von Christen für Christen gedruckte hebräische
Bibeln auch von Juden benutzt, weil sie ganz schlicht und einfach billiger waren als
Ausgaben, die von jüdischen Druckern verlegt wurden, da diese in aller Regel hohe Abgaben für
ihr Druckprivileg zu entrichten hatten, was natürlich ihre Bücher nicht unerheblich verteuerte.
Aus eben diesem Grund haben manchmal Juden jüdische Bücher bei christlichen Druckern
drucken lassen; ein Beispiel hierfür ist das in 2.7. erwähnte Ma'asse-Buch (s. Foto Nr. 8), das bei
»Karl Reich, Hof- und Kanzleibuchdrucker« entstand. Da nun hebräische Bibeln aus einer
christlichen Offizin den korrekten Text boten, und Juden die lateinischen Zusätze normalerweise
nicht lesen konnten, hatten sie wohl auch keine Bedenken, sich einer wohlfeileren
christlichen Ausgabe zu bedienen. Unsere Frankfurter Biblia Hebraica von 1716 ist übrigens das
älteste, bis jetzt von uns bestimmte Druckwerk aus der Hechinger Genisa - das jüngste ist der
weiter oben erwähnte Sulzbacher Siddur von 1837 (vgl. 2.1. ganz am Schluß). Wir fanden
außerdem auch den Rest eines Blattes aus einer christlichen Psalmenausgabe, die neben dem
hebräischen Text den griechischen und lateinischen darbietet (»Psalmi Davidi cum exegesi et
phraseologia ad textum hebraicum«, Wien 1757)!

Fragmente aus Rabbinerbibeln (Miqra'ot Gedolot) waren ebenfalls vertreten. Bei dieser
Gattung handelt es sich um Bibeln, die neben dem hebräischen Bibeltext noch eine stattliche
Reihe hebräischer Kommentare beigedruckt haben (Raschi, Ramban, Ibn Esra usw.) sowie u. a.
den Targum Onkelos, eine aus der Antike stammende paraphrasierende und teilweise kommentierende
Übersetzung des Bibeltextes ins Aramäische.

Schließlich fanden wir auch Blätter aus hebräischen Bibeln, die interessanterweise jüdischdeutsche
Randglossen enthalten.

2.4. Die Mischna, die mehr oder weniger systematische Ordnung der in der Bibel stehenden
Gesetze, bildet den Talmud zusammen mit der weitaus umfangreicheren Diskussion dieser
Gesetze, der Gemara, die neben ausführlichen religionsgesetzlichen (halachischen) Erörterungen
Gleichnisse und Geschichten bis hin zu Märchen und Legenden (Aggada) enthält; der
Talmud, das Schatzhaus des jüdischen Wissens, ist das Hauptwerk des religiösen Unterrichts im
Bet-Midrasch, dem Lehrhaus. Unter unseren Funden entdeckten wir sowohl Blätter aus
Mischna-Ausgaben als auch solche aus Talmuden (ein Talmud enthält stets Mischna und
Gemara sowie Kommentare in einem). Die Mischna-Seiten waren auffallend kleinformatig, so
daß man vermuten darf, daß sie Ausgaben entstammen, die dazu bestimmt waren, überallhin
mitgenommen zu werden. Solche Taschenausgaben der Mischna werden auch heute noch
gedruckt. Beim Talmud ist eine Taschenausgabe wegen des riesigen Umfangs natürlich nicht
möglich, und die wenigen beschädigten Talmudreste, die wir vorliegen haben, sind zumeist
Folio-Format oder etwas kleiner. Sie weisen so starke Gebrauchsspuren auf, daß man ohne jede
Übertreibung von »zerfledderten« Talmuden reden kann. Gewiß ein gutes Zeichen für das
Hechinger Lehrhaus, aus dem sie stammen mögen! Die meisten der erhaltenen Blätter sind aus
dem Traktat »Schabbat«, in dem die mit der Beachtung des Sabbat zusammenhängenden
Vorschriften abgehandelt werden. Eine ganze Reihe von Blättern entstammen jedoch dem
Traktat »Sukkah«, der das Laubhüttenfest zum Gegenstand hat.

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