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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0257
Funde aus der Hechinger »Genisa«

2.5. Für die Frauen, die beim orthodoxen Gottesdienst getrennt von den Männern (auf einer
Empore oder hinter einem Vorhang) sitzen, gibt es besondere Gebets- und Andachtsbücher in
jiddischer Sprache, da sie normalerweise kein Hebräisch beherrschten. Zu der Kategorie der
Andachts- und Erbauungsliteratur gehört das berühmte, heute noch in orthodoxen Kreisen
beliebte und geschätzte Zenne-Renne-B\ichlb, das gegen Ende des 16. Jahrhunderts entstanden
ist (s. Foto Nr. 7). Darin werden die fünf Bücher Mose (die Tora), die Haftarot (d. h. die zu den
Wochenabschnitten der Tora gehörenden Prophetenabschnitte) sowie die fünf Megillot (die
Bücher Hohes Lied für Pessach, Ruth fürs Wochenfest, Prediger fürs Laubhüttenfest, Esther
für Purim und Klagelieder für den 9. Aw) nebst den wichtigsten Gebeten in freier Nacherzählung
, angereichert mit erbaulichen Erzählungen und Erläuterungen, wiedergegeben. Geschrieben
ist dieses Werk in einem altertümlichen Jiddisch, das man »Iwri-teitsch« nennt, und
gedruckt in der sogenannten aschkenasischen Druckkursive, einer besonderen Schrifttype, die
bis ins letzte Jahrhundert für jüdische Texte in einer anderen Sprache als hebräisch (z.B.
Jiddisch) verwendet wurde. Heutzutage freilich wird Jiddisch wie jeder hebräische Text in
Quadratschrift gedruckt.

Dann gab es zahlreiche Reste von sogenannten Techinnot (Sg. Techinna), das sind, wie man
auch sagt, »Weibergebetbücher«, die volkstümliche, teils auch von Frauen verfaßte Bittgebete in
»Iwri-teitsch« für alle möglichen Gelegenheiten enthalten (Bitte um die Gesundheit des Gatten,
der Kinder, Bitte um männliche Nachkommenschaft, Bitte um ein Kindbett ohne Komplikationen
usw. usw.). Von beiden Kategorien sowohl der Erbauungsliteratur als auch den Frauengebetbüchern
sind zum Teil größere Stücke, aber leider nur ein Titelblatt erhalten. Besagtes
Titelblatt gehört zu einer 1797/98 in Sulzbach gedruckten Techinna; in der Vorrede unter dem
hebräischen Titel »Sseder techinnot u-vaqaschot« heißt es auf »Iwri-teitsch« zur Begründung
des Umstandes, daß hier so gut ausgewählte Gebete wie noch nie zuvor, darunter auch ganze
neue, dargeboten würden: »...weiln mich fil frume / weiber (in schpezie) sugossi tichjäh
(= meine Gemahlin, sie möge leben) er / sucht habn • solche techinness welche / bis hero in ale
tefilless (= Gebetbücher) noch / gemangelt bei drukn zu losn.«

Zu den Frauengebetbüchern zählt auch das wehiger bekannte Minchat Ani (=Das
Speiseopfer eines Armen), gleichfalls in Hechingen rudimentär vertreten. Bei diesem Buch
handelt es sich um eine Zusammenstellung von jüdischdeutschen Gebeten, die ein gewisser Meir
ben Simon Werters aus Prag angeordnet hat, woselbst die . Erstausgabe gegen Ende des
17. Jahrhunderts erschienen ist. Ob unser Rest aus diesem Prager Druck stammt, können wir
vorerst noch nicht sagen.

Nicht in die hier besprochene Klasse der Frauengebetbücher gehört das Fragment eines
anderen Gebetbuches, das wir aufgrund der Tatsache, daß es in jüdischdeutsch verfaßt ist,
gleichwohl an dieser Stelle erwähnen möchten, nämlich das sogenannte Teitsch Ma'aneh
Laschon, das übrigens in der Freudentaler Genisa überaus häufig vertreten war, also wohl ein
sehr populäres Buch. Es stellt eine Sammlung von 47 rhythmischen Gebeten dar für den Besuch
der Gräber von Verwandten und wurde von Elieser Liebermann Sofer ben Low Rofe, einem
Darschan (= Prediger), aus Mainz ausgehend von einer hebräischen Vorlage ins Jüdischdeutsche
übersetzt. Die editio princeps kam 1615 in Prag heraus; es folgten eine Menge von
Nachdrucken an verschiedenen Orten; die Provenienz unserer Ausgabe kennen wir noch nicht.
Interessant ist der Titel dieses Friedhofgebetbuches: das Teitsch besagt natürlich, daß wir es mit

16 »Für die Zeit zwischen 1600 und 1850 kann die >Zenne Renne< mit Fug und Recht als das grundlegende
Erziehungs- und Bildungsbuch der jüdischen Frau schlechthin angesehen werden. Als wöchentliche
Sabbatlektüre dürfte sie in keiner jüdischen Familie gefehlt haben.« (Dinse/Liptzin, S. 32). Und ferner:
»Vermöge ihrer einfachen Auslegung des göttlichen Wortes und der biblischen Historie sowie dank ihrer
einprägsamen Bilder aus der Geschichte des jüdischen Volkes wurde sie die Erziehungs- und Bildungsgrundlage
für die jüdische Frau schlechthin.« (Dinse, S. 77). Die »Zenne Renne« wird übrigens heute noch
nachgedruckt und in strengorthodoxen (chassidischen) Kreisen weiterhin als Frauenlektüre in Ehren
gehalten!

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