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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0259
Funde aus der Hechinger »Genisa«

mußten21. Die Erstausgabe erschien ca. 1491 bei Soncino in Brescia. Unsere Blätter stammen
jedoch aus der jüdischdeutschen Übersetzung von Gerschon Wiener (Frankfurt/Oder '1693/
21749).

2.8. An Bruchstücken aus der epischen Literatur war auch einiges vertreten, und zwar aus
dem Ssefer Jehudit (= Buch Judith, ein apokryphes Buch, das in den Kanon der hebräischen
Bibel nicht aufgenommen wurde, aber als jüdisches Volksbuch überlebte), aus dem Schmu'el-
Buch (nach den biblischen Büchern Samuel 1 und 2), das u. a. breit und episch die Geschichte
König Davids erzählt, als wäre er ein deutscher Rittersmann, sowie schließlich aus dem
ungemein beliebten Buch Jossippon, bei dem wir es mit einer jüdischdeutschen Fassung des
Geschichtswerks des Flavius Josephus (zumindest größtenteils) zu tun haben22. Diese Bücher
sind alle auch in jüdischdeutscher Sprache abgefaßt.

2.9. Die sogenannte Vo/&sliteratur stellten folgende Werke - durch Einzelblätter repräsentiert
- dar: Sigmund un' Magdalena, ein deutscher Volksstoff; dann die Mär vom Ritter
Widuwilt, »ein sehen maassefon kenig artis hof - eine schöne Erzählung von einem Könige und
Helden, der viele Riesen umbrachte«23. Der Trivialliteratur angehören und neueren Datums
muß das kuriose Opusculum Siherd der amerikanische Zauberer sein, das mit einem Blatt
vertreten ist; wir konnten es auch in keiner Literaturgeschichte orten. Etwas weniger kurios und
dem Informationsbedürfnis breiter jüdischer Volkskreise entgegenkommend dürfte wohl ein
historisches Büchlein vom Ende des 18. Jahrhunderts sein, von dem zehn Seiten erhalten
geblieben sind. Es schildert in leicht jiddisch gefärbtem Deutsch (aber noch in aschkenasischer
Druckkursive) die Hinrichtung Ludwig des XVI. am 21.1.1793. Nach der Beschreibung der
Ankunft der Kutsche mit dem König und seinem irischen Beichtvater Edgeworth de Firmont
auf dem Richtplatz heißt es:

So gleich trat der Scharf Richter nebst seinem Assistenten hin zu. Schlug dem König das Haar
auf. Schnitt ihm die Locken Haare weg. Half ihm entkleiden. Und band ihm die Hände auf
den Rücken. So stieg er auf das Blut Gerüst. Mit entblößten Kopf. Offnen Hemd Kragen.
Und ein weißes Jäckchen anhabend. Er ging von der Stelle, auf welcher er sich nieder legen
sollte, gegen den Rand des Schaffots. Und ver langte Still Schweigen. Allein Santerre, der
befürchten mußte, daß er vielleicht eine rührende Anrede halten'un' daß das Volk da durch
bewogen werden möchte, Pardon zu rufen sagte: Laßt ihm nicht reden! Vollziehet das
Urtheil! Also ward Ludwig gegen den Volk hingeschoben. In einen Augenblick waren ihm
die Füße gebunden. Und das Brett, auf welchen er stand, senkte sich gegen den Volk herab.
In diesen Augenblick rief er aus: Ich wünsche, daß mein Tod die Nation glücklich mache!
Ich ver gebe meinen Feinden und sterbe um schuldig! Als der Hals in der gehörigen Richtung
befestigt wurde, that der unglückliche König einen Schreie, indem gleitete auch schon das
Werk Zeug seines Todes, das Beil, an der Köpf Maschine, herunter. Dennoch fiel der Kopf
nicht gleich, sondern der Scharfrichter mußte noch das Beil mit Gewalt auf drücken. Darauf
er griff er den Kopf und ging, ihm dem Volke emporzeigend, damit rund um das Blut Gerüst
herum.

21 Vgl. EJJ 6: 1128 (»MESHAL HA-KADMONI«).

22 »Das beliebteste historische Werk der jiddischen Literatur war seit seinem ersten Erscheinen im Jahre
1546 der jossipon... Erst mit der >Volksausgabe< Prag 1607 ... wurde dieses Geschichtswerk auch
minderbemittelten jüdischen Lesern zugänglich. Die Popularität des jossipon erstarb auch im 17. und
18. Jahrhundert nicht.« (Dinse, S.99). Der unbekannte Verfasser des Jossippon verfaßte das Werk im Jahre
953 in Italien auf hebräisch; als Hauptvorlage benutzte er den Hegesippus, eine lateinische Version des
»Bellum Judaicum« des Flavius Josephus; vgl. EJJ 10: 296-298 (»JOSIPPON«).

23 Vgl. Dinse, S.226.

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