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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0322
Neues Schrifttum

Besonderes Interesse verdienen die Ausführungen über die neuartige kooperativ-teamartige Leitungsstruktur
und die kaufmännische Durchdringung des Betriebs Anfang des 20.Jahrhunderts. Diese neuen
Methoden boten den Aktionären verbesserte Kontrollmöglichkeiten und garantierten ein effektiveres
Management als der zentralistisch-intuitive Führungsstil Georg Fischers (S. 62 ff.). Auch auf den unteren
Ebenen verdrängte dann langsam ein »sachlich-funktionaler« Umgang den »traditionell-autoritären«
Führungsstil (S. 98 ff.). Die Darstellung der Diskussion in der Firmenleitung über amerikanische Fließbandmethoden
und deren Einführung bei der GF nimmt das Thema der industriellen Organisation wieder auf,
das weit über die eigentliche Angestelltenproblematik hinaus reicht (S. 75ff., 159ff.). Eine ausgesprochen
lebendige Schilderung der Beziehungen der Angestellten untereinander und zu den Arbeitern wird durch
eine quantitative Analyse der Löhne und Aufstiegschancen der Angestellten ergänzt. Hier zeigt sich, daß es
unsinnig ist, von den Angestellten allgemein zu sprechen. Ein großer Teil der einfachen Bürotätigkeiten
wurde schlechter bezahlt als angelernte und gelernte Arbeit in der Produktion. Die Aufstiegschancen für
einen Großteil der Angestellten waren sehr begrenzt. Die meisten einfachen Angestellten standen also
objektiv betrachtet den Arbeitern sehr viel näher als den leitenden Angestellten oder gar den Direktoren
(S. 182 ff.). Die politischen Aktivitäten gingen bei der GF allerdings eher von den mittleren Angestellten aus,
z.B. von den gelernten Kaufleuten. Die untersten Glieder der Büropyramide blieben dagegen weitgehend
passiv. Abgesehen von einer kurzen Radikalisierung nach 1918 verstanden sich die verschiedenen
Angestellten-Organisationen eher als gesellig-ständische Vereinigungen, denn als kämpferische Gewerkschaftsorganisationen
. Die Angestellten orientierten sich eher »nach oben« als »nach unten«. Sie identifizierten
sich mehr mit »dem Betrieb« als mit den Arbeitern (S. 189 ff.).

Beide Studien bemühen sich, die konkreten Ereignisse in Schaffhausen jeweils in einen größeren
sozialgeschichtlichen Zusammenhang einzuordnen. Vetterli stellt immer wieder Vergleiche mit Betrieben
und Arbeiterbewegungen in anderen Städten an. Siegrist ordnet die Entscheidungen bei der GF in die
allgemeinen, z. T. internationalen Diskussionen und Entwicklungen der Managementtechnik und Produktionsrationalisierung
ein. Beide Autoren orientieren sich an der neueren Industrie- und Managementsoziologie
, ohne in deren Abstraktheit und Terminologie zurückzufallen. Ganz im Gegenteil: Besonders Siegrists
Arbeit bietet - ganz abgesehen von ihrer wissenschaftlichen Bedeutung - zum Teil eine ausgesprochen
spannende und lesenswerte Lektüre. Beide Untersuchungen zeigen die noch weitgehend ungenutzten
Möglichkeiten konkreter Fallstudien. Wenn ähnlich angelegte Studien im größeren Maße erarbeitet werden,
erhält auch die globaler orientierte Sozialgeschichte eine differenzierte und detaillierte Basis für verallgemeinernde
Aussagen völlig neuer Qualität.

Konstanz Detlef Stender

Angus A. D. Munro: The French Occupation of Tübingen, 1945-1947: French Policies and German
Reactions in the Immediate Post-War Period. Band 1-2. Warwick: Dissertation, Dep. of Politics. 1978.

Lokalhistorische Forschung mag generell die Gefahr in sich bergen, die komplexe Realität zu sehr unter
einem verengten Blickwinkel anzugehen; die selbstgewählte Mikroperspektive kann gewiß in einem eng
umgrenzten Untersuchungsbereich tief schürfen, hat aber häufig den Nachteil, daß sie die überregional, ja
sogar national- und welthistorisch wirkenden Kräfte und deren Auswirkungen auf regionalgeschichtliche
Entwicklungen nicht ausreichend mitberücksichtigen kann. Daneben brachte die historische Mikroperspektive
auch eine intensive Anwendung neuer Methoden wie die der »Oral History«, die zwar einerseits
befruchtend wirken, da sie die Lebenswelt einzelner Individuen in strukturanalytische Betrachtungen
einbeziehen können, die aber andererseits ebenfalls der Gefahr unterliegen, vorwiegend zu einem Werkzeug
für »Barfußhistoriker« zu werden, das zur Untersuchung komplexer historischer Entwicklungen letztlich
nicht weit genug greift.

Das muß allerdings nicht immer so sein: Wie man die Vorteile der Mikroperspektive nutzen kann, ohne
die großen Zusammenhänge zu vernachlässigen, zeigt die Dissertation von Angus Munro über die
französische Besatzung Tübingens von 1945 bis 1947 in geradezu vorbildlicher Weise. Sie beruht auf der
Auswertung einer breiten Quellen- und Literaturbasis, die Munro durch zahlreiche persönliche Interviews
angereichert hat. Leider wurde die Arbeit bislang nur als Dissertationsdruck in Warwick aufgelegt und ist
hierzulande nur schwer erhältlich; dies ist um so erstaunlicher, als sich gerade in Deutschland und vor allem
in Baden-Württemberg die meisten Interessenten für eine solche Untersuchung finden dürften.

Daß Munros Ambitionen über die Lokalgeschichtsschreibung hinausreichen, zeigt das umfangreiche

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