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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0327
Besprechungen

versteht, der festgefahrene Sicht- und Interpretationsweisen überwinden hilft und so zu einer Perspektiverweiterung
beiträgt. Mit Spannung darf man deshalb den angekündigten dritten Band der Forschungsgruppe
erwarten.

Darmstadt Dieter Emig

Edith Ennert: Frauen im Mittelalter. München: C.H.Beck 1984. 300S., 24Abb.

Die Frage nach der Frau in der Geschichte, die schon im 19. Jahrhunden engagierte und fundierte
Literatur hervorgebracht hat, ist aus bekannten Gründen in den vergangenen 15 Jahren wieder verstärkt
gestellt worden. Neben Detailuntersuchungen sind auch einige übergreifende Darstellungen zu diesem
Thema publiziert worden. Nach dem aus dem Nachlaß Eileen Powers durch M. M. Postan veröffentlichten
Buch »Medieval Woman« (1975), Regine Pernouds »La femme au temps des cathedrales« (1980) und der
Monographie der in Tel Aviv lehrenden Mediaevistin Shulamith Shahar, die unter dem Titel »Die Frau im
Mittelalter« auch in deutscher Übersetzung als Taschenbuch erschienen ist (1983), hat nun die emeritierte
Bonner Historikerin Edith Ennen einen weiteren Versuch vorgelegt, die Stellung der Frau im abendländischen
Mittelalter zu beschreiben.

Das Buch vermittelt vor allem eine Erkenntnis (schon der Plural im Titel kündigt sie an): Es gab sie gar
nicht, »die Frau« im Mittelalter, es gab »Frauen«, deren Lebensumstände auch innerhalb der verschiedenen
Schichten und Stände in einem keineswegs statischen Mittelalter nach Ort und Zeit völlig unterschiedlich
sein konnten. Ennen kommt es darauf an zu zeigen, »wie differenziert... die Verhältnisse jeweils lagen«
(S. 242). Aus diesem Grunde schenkt sie auch dem jeweiligen historischen Kontext und den Besonderheiten
der geographischen Räume breiteren Raum als Shahar. Während letztere nach wechselnden Kriterien
definierte Gruppen von Frauen der Reihe nach vorführt (Beterinnen, verheiratete Frauen, Edelfrauen,
Städterinnen, Bäuerinnen, Ketzerinnen und Hexen), hat Ennen ihrer Darstellung - sie deckt den Zeitraum
von 500 bis 1500 ab - die herkömmliche Einteilung des Mittelalters in ein frühes, hohes und spätes zugrunde
gelegt. Auf der zweiten Ebene der Gliederung sind den drei Zeitabschnitten Kapitel über einzelne
Lebensbereiche der Frau oder über Bedingungen und Erscheinungen weiblicher Aktivitäten (wie der
Frömmigkeitsbewegung des Hochmittelalters) untergeordnet. Schon durch das übergelegte chronologische
Raster wird die Zeitbezogenheit der beschriebenen Zustände und Entwicklungen stärker betont als in dem
Buch Shahars, das zudem nur den Zeitraum vom 12. bis zum zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts abdeckt.

Daß Emens Kapitel über die Stellung der Frau in der mittelalterlichen Stadtgesellschaft besonders
umfangreich ausgefallen ist, überrascht nicht, wenn man weiß, daß sie sich vorrangig durch Arbeiten zur
Geschichte der mittelalterlichen Stadt einen Namen gemacht hat. Vor allem in diesem besonders gut
gelungenen Abschnitt konnte die Verfasserin, die im ganzen Buch in hervorragender Weise eigene
Quellenforschungen mit der zusammenfassenden Wiedergabe der Ergebnisse anderer verbunden hat, auf
persönliche Untersuchungen zurückgreifen.

Die Informationen, die der Leser erhält, sind vielfältig. Neben Interpretationen einzelner Quellen (z. B.
der germanischen Stammesrechte zur Stellung der Frau) stehen Analysen quantitativer Art (Frauenüberschuß
in den Städten?), die freilich stets in dem Bewußtsein angestellt werden, daß die Verallgemeinerung
lokaler Ergebnisse im Mittelalter unzulässig ist (S. 135). Überhaupt: Nur mit äußerster Vorsicht wird bei
allen übergreifenden Fragen nach der Antwort gesucht. Ennen vermeidet souverän Allgemeinplätze und
hält sich lieber an das Konkrete, wobei sie gerne die Quellen für sich sprechen läßt. So bietet das Buch auch
eine Fülle an detaillierten biographischen Skizzen von Frauen aus allen Schichten und Ständen. Gerade diese
Lebensläufe - sie decken nicht nur große Namen ab wie den der Kaiserin Gisela, einer Hildegard von Bingen
oder Jeanne d'Arc, sondern machen uns auch mit der Hamburger Kauffrau Agneta Willeken und der
Bauersfrau Ursula Lübbe im Danziger Werder bekannt - zeigen, wie unterschiedlich die Lebensbedingungen
und Entfaltungsmöglichkeiten für die Frau im Mittelalter waren.

Lassen sich dennoch allgemeine Aussagen über Frauen im Mittelalter machen? In einem Schlußkapitel
mit der Überschrift »Konstanten und Wandlungen und Dauer im Wandel« spricht Ennen zusammenfassend
hierzu wichtige Gesichtspunkte an, indem sie etwa auf die für »König und Bauer, Adel und Bürger« in
ähnlicher Weise bedeutsame Rolle der Frau als Mutter des Erben und Nachfolgers oder auf ihre fehlende
Wehrfähigkeit, in der zugleich ein Handicap für die politische Betätigung lag, eingeht. Dabei wird manches
Problem aufgeworfen, das noch eingehend zu diskutieren bleibt. Wo sind etwa weitere Gründe zu suchen,
daß die Frau im politischen Bereich weitgehend passiv blieb, während sie im religiösen, man denke an die
Armutsbewegung, enthusiastische Aktivitäten entfalten konnte? (Edith Ennen, S. 237: »Das muß tieferlie-

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